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Wozu wollen Sie das wissen?

Wozu wollen Sie das wissen?

Titel: Wozu wollen Sie das wissen? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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Straßenpredigten immer recht grimmig ausfielen, sogar zornig, wenn es um die Hoffnung auf Gnade und Erlösung ging, dessen Miene, wenn er mit hochgezogenen Schultern auf seinem Kutschbock saß, immer von Verdrossenheit kündete, kam jetzt als sauber gewaschener und ordentlicher Mann mit glänzender Glatze auf mich zu und begrüßte mich, als freute er sich tatsächlich, mich in seinem Haus zu sehen. Die Mutter war groß, wie Russell, grobknochig und flachbrüstig, mit grauen Haaren, die in Höhe der Ohren abgeschnitten waren. Russell musste ihr zweimal meinen Namen nennen, durch den Lärm hindurch, den sie beim Stampfen der Kartoffeln veranstaltete, bevor er erreichte, dass sie sich umdrehte. Sie wischte sich die Hand an der Schürze ab, als habe sie vor, sie mir zu geben, tat es aber nicht. Sie sagte, sie freue sich, mich kennenzulernen. Ihre Stimme war beim Singen der Straßeneckenchoräle voll und weich, aber als sie jetzt sprach, klang sie rauh vor Verlegenheit wie die eines Jungen im Stimmbruch.
    Russells Vater sprang in die Bresche. Er fragte mich, ob ich irgendwelche Erfahrungen mit Zwerghühnern hätte. Ich verneinte, und er sagte, er habe das für möglich gehalten, weil ich auf einer Farm aufgewachsen sei.
    »Die Hühner sind mein Hobby«, sagte er. »Komm und schau mal.«
    Die beiden kleinen Mädchen waren wieder aufgetaucht und drückten sich an der Tür zum Flur herum. Sie wollten ihrem Vater, Russell und mir auf den Hinterhof folgen, aber ihre Mutter rief sie.
    »Annieundmavis! Ihr bleibt hier und stellt die Teller auf den Tisch.«
    Der Zwerghahn hieß King George.
    »Das ist ein Scherz«, sagte Mr Craik. »Weil ich nämlich George heiße.«
    Die Hennen waren nach Mae West und Tugboat Annie und Daisy Mae und anderen Gestalten aus Filmen oder Comicserien oder Volksmärchen benannt. Das überraschte mich, da Filme für diese Familie etwas Verbotenes waren und das Kino in den Samstagspredigten als ein besonders verabscheuungswürdiger Ort angeprangert wurde. Ich hatte gedacht, Comicserien seien ebenfalls untersagt. Vielleicht war ja nichts dabei, dummen Hühnern solche Namen zu geben. Oder vielleicht hatten die Craiks nicht schon immer der Heilsarmee angehört.
    »Woran kennen Sie sie auseinander?«, fragte ich. Ich hatte meinen Verstand überhaupt nicht beisammen, sonst hätte ich gesehen, dass jedes Huhn anders gezeichnet war, sein eigenes Muster aus roten und braunen und rostfarbenen und goldenen Federn hatte.
    Russells Bruder war von irgendwoher aufgetaucht. Er kicherte.
    »Ach, das kommt mit der Zeit«, sagte der Vater. Er fing an, mir jedes vorzustellen, aber die Hühner wurden von so viel Aufmerksamkeit scheu und zerstreuten sich rings auf dem Hof, sodass er nicht hinterherkam. Der Gockel war kühn und hackte nach meinem Schuh.
    »Keine Angst«, sagte Russells Vater. »Der gibt bloß an.«
    »Legen sie Eier?«, war meine nächste törichte Frage.
    »Oh, ja, doch, aber nicht so, dass es ein alltägliches Vorkommnis ist. Nein. Nicht mal genug für unseren eigenen Tisch. Oh, nein, das ist eine Zierrasse, weiter nichts. Eine Zierrasse.«
    »Du fängst dir gleich eine Kopfnuss«, sagte Russell zu seinem Bruder, hinter meinem Rücken.
    Beim Abendessen nickte der Vater Russell zu, den Segen zu sprechen, und Russell tat es. Der Segen hier war gemächlich und entstand spontan, um dem Anlass gerecht zu werden, ganz anders als das Segne-Vater-diese-Speise-uns-zur-Stärkung-dir-zum-Preise, das zu Hause an unserem Tisch gemurmelt wurde, wenn die Familie zusammen aß. Russell sprach langsam und voll Überzeugung und nannte den Namen von jedem am Tisch – darunter auch meinen, wobei er den Herrn bat, mich willkommen zu machen. Mir kam der bedrückende Gedanke, dass der Krieg ihn womöglich nicht völlig retten konnte, dass er, sobald die eine Armee ihn nicht mehr brauchte, zu der anderen zurückkehren und die alte Uniform wieder anlegen konnte, dass er vielleicht sogar eine Gabe und eine Neigung zum öffentlichen Predigen besaß.
    Es gab keine Brotteller. Man legte seine Scheibe Brot auf das Wachstuch oder seitlich auf den großen Teller. Und man wischte seinen Teller mit einem Stück Brot sauber, bevor der Apfelkuchen daraufgelegt wurde.
    Der Gockel erschien in der Tür, wurde aber von Mr Craik verscheucht. Was Mavis und Annie veranlasste, zu kichern und sich die Hand vor den Mund zu halten.
    »Wenn ihr an eurem Essen erstickt, geschieht es euch ganz recht«, sagte Russell.
    Mrs Craik vermied es, meinen Namen

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