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Wozu wollen Sie das wissen?

Wozu wollen Sie das wissen?

Titel: Wozu wollen Sie das wissen? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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mein Bruder und meine Schwester gelernt hatten, Patience zu spielen, und das bei jeder Gelegenheit taten. Sie saßen sich jetzt am Esszimmertisch gegenüber, neun und zehn Jahre alt und ernst wie ein altes Ehepaar, die Karten zwischen sich ausgebreitet. Meine Mutter war schon zu Bett gegangen. Sie verbrachte viele Stunden im Bett, aber sie schien nie wie andere Menschen zu schlafen, sie döste nur immer für kurze Zeit am Tag und in der Nacht, stand vielleicht auf und trank Tee oder räumte eine Schublade auf. Ihr Leben hatte aufgehört, an irgendeinem Punkt sicher mit dem Leben der Familie verbunden zu sein.
    Sie rief vom Bett aus und fragte, ob das Abendessen bei Clara nett gewesen sei und was es zum Nachtisch gegeben habe.
    »Vanillepudding«, sagte ich.
    Ich dachte, wenn ich irgendeinen Teil der Wahrheit preisgab, wenn ich »Apfelkuchen« sagte, würde ich mich sofort verraten. Ihr war es egal, sie wollte nur ein wenig Unterhaltung, aber die konnte ich ihr nicht bieten. Ich legte ihr die Decke um die Füße, ihrer Bitte entsprechend, und ging hinunter ins Wohnzimmer, wo ich mich auf den niedrigen Hocker vor dem Bücherregal setzte und ein Buch herausnahm. Ich las mit zusammengekniffenen Augen in dem schwachen Licht, das immer noch durch das Fenster neben mir hereinfiel, bis ich aufstehen und die Lampe anmachen musste. Auch dann ließ ich mich nicht in einem Sessel nieder, um es bequem zu haben, sondern hockte weiter vornübergebeugt auf dem Schemel, füllte mein Hirn mit einem Satz nach dem anderen, stopfte sie mir in den Kopf, damit ich nicht daran denken musste, was gerade passiert war.
    Ich weiß nicht, welches Buch es war, das ich herausnahm. Ich hatte sie alle schon gelesen, alle Romane in diesem Bücherregal. Viele waren es nicht.
Die schwarze Sonne
.
Vom Winde verweht. Das Gewand
.
Ruhe in Frieden. Alle meine Söhne
.
Sturmhöhe. Die letzten Tage von Pompeji
. Die Auswahl entsprach nicht irgendeinem persönlichen Geschmack, meine Eltern konnten oft nicht einmal sagen, wie ein Buch dahin geraten war – ob es gekauft oder geliehen oder von irgendjemandem zurückgelassen worden war.
    Es muss jedoch etwas bedeutet haben, dass ich an dieser Wende meines Lebens zu einem Buch griff. Denn nur in Büchern fand ich in den nächsten Jahren meine Geliebten. Sie waren Männer, keine Jungen. Sie waren selbstbeherrscht und sardonisch, konnten manchmal grausam sein und neigten zu Schwermut. Kein Edgar Linton, kein Ashley Wilkes. Keiner von ihnen leutselig oder freundlich.
    Nicht, dass ich mich von der leidenschaftlichen Liebe verabschiedet hätte. Im Gegenteil. Ich sehnte mich nach Leidenschaft, sie musste von ganzem Herzen kommen und konnte sogar zerstörerisch sein. Verlangen und Hingabe. Ich schloss eine bestimmte Art von Gewalttätigkeit nicht aus. Jedoch Unklarheit, Betrug, niederträchtige Überraschungen oder Demütigungen. Ich konnte warten, und das große Glück würde mir zuteil werden, dachte ich, sobald ich voll erblüht war.

Aushilfe
    Mrs Mountjoy zeigte mir, wo die Töpfe und Pfannen hingehörten. Ich hatte einige an die falschen Plätze gestellt.
    Vor allem, sagte sie, hasse sie chaotische Küchenschränke.
    »Man vergeudet nur Zeit«, sagte sie. »Man vergeudet Zeit damit, etwas zu suchen, weil es nicht da ist, wo es zuletzt war.«
    »So war es mit unseren Aushilfen zu Hause«, sagte ich. »An ihren ersten Tagen bei uns räumten sie alles immer so weg, dass wir es nicht finden konnten.«
    »Wir nannten unsere Dienstmädchen Aushilfen«, fügte ich hinzu. »So nannten wir sie zu Hause.«
    »Ach, ja?«, sagte sie. Ein Augenblick des Schweigens verstrich. »Und das Sieb auf den Haken dort.«
    Warum musste ich sagen, was ich gesagt hatte? Warum war es nötig, zu erwähnen, dass wir zu Hause Aushilfen hatten?
    Jeder konnte erkennen, warum. Um mich annähernd auf eine Stufe mit ihr zu stellen. Als ob das möglich wäre. Als ob irgendetwas von dem, was ich über mich oder das Haus, aus dem ich kam, zu sagen hatte, sie interessieren oder beeindrucken könnte.
     
    Das mit den Aushilfen stimmte jedoch. In meiner Kindheit gab es eine ganze Prozession davon. Da war Olive, ein weiches, schläfriges Mädchen, das mich nicht mochte, weil ich sie Olivenöl nannte. Auch nachdem ich mich bei ihr, wie befohlen, entschuldigt hatte, mochte sie mich nicht. Vielleicht mochte sie keinen von uns, denn sie war eine Bibelchristin, weshalb sie misstrauisch und zurückhaltend blieb. Sie sang immer, während sie das Geschirr

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