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Wozu wollen Sie das wissen?

Wozu wollen Sie das wissen?

Titel: Wozu wollen Sie das wissen? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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abwusch und ich abtrocknete.
Es ist eine Salbe in Gilead
 … Wenn ich mitzusingen versuchte, brach sie ab.
    Dann kam Jeanie, die ich mochte, denn sie war hübsch, und sie drehte mir abends, wenn sie ihre eigenen frisierte, die Haare auf Lockenwickler. Sie führte eine Liste der Jungen, mit denen sie ausging, und machte sonderbare Zeichen hinter ihre Namen: x x x o o * *. Sie blieb nicht lange.
    Ebenso wenig Dorothy, die die Wäsche exzentrisch auf die Leine hängte – am Kragen angeklammert oder an einem Ärmel oder einem Bein – und den Dreck in eine Ecke kehrte und den Besen davorlehnte, um ihn zu verstecken.
    Und als ich etwa zehn Jahre alt war, hatte es mit den Aushilfen ein Ende. Ich weiß nicht, ob das daran lag, dass wir nicht mehr das Geld dafür aufbringen konnten oder dass ich als alt genug galt, um ständig im Haushalt zu helfen. Beides stimmte.
    Jetzt war ich siebzehn und konnte selbst als Aushilfe arbeiten, wenn auch nur den Sommer über, da ich noch ein Jahr auf der Highschool vor mir hatte. Meine Schwester war zwölf, also konnte sie zu Hause einspringen.
     
    Mrs Mountjoy hatte mich vom Bahnhof in Pointe au Baril abgeholt und in einem Boot mit Außenbordmotor auf die Insel befördert. Es war die Frau in dem Point-au-Baril-Laden, die mich für den Job empfohlen hatte. Sie war eine alte Freundin meiner Mutter – beide hatten an derselben Schule unterrichtet. Mrs Mountjoy hatte sie gefragt, ob sie ein Mädchen vom Lande wüsste, das Hausarbeit gewohnt und den Sommer über abkömmlich war, und die Frau hatte gedacht, das sei für mich genau das Richtige. Ich dachte das auch – ich wollte unbedingt mehr von der Welt sehen.
    Mrs Mountjoy trug Khakishorts und ein in die Hose gestopftes Hemd. Ihre kurzen, sonnengebleichten Haare waren hinter die Ohren zurückgestrichen. Sie sprang in das Boot wie ein Junge, zog heftig an der Anlasserleine des Motors, und wir wurden hinausgeschleudert auf das kabbelige, abendliche Wasser der Georgian Bay. Dreißig oder vierzig Minuten lang kurvten wir um felsige und bewaldete Inseln mit ihren einsamen Häuschen und mit Booten, die neben den Landestegen hüpften. Kiefern ragten in schrägen Winkeln über das Ufer, genau wie auf Ölbildern.
    Ich hielt mich an den Seiten des Bootes fest und fröstelte in meinem dünnen Kleid.
    »Ist dir eine Spur übel?«, fragte Mrs Mountjoy mit einem Lächeln, so kurz wie nur irgend möglich. Es war wie die Andeutung eines Lächelns, wenn der Anlass das Original nicht rechtfertigt. Sie hatte große weiße Zähne in einem langen, sonnengebräunten Gesicht, und ihr natürlicher Gesichtsausdruck schien der einer nur mühsam beherrschten Ungeduld zu sein. Sie wusste wahrscheinlich, dass das, was ich empfand, nicht Übelkeit war, sondern Angst, und sie warf die Frage hin, um mir – und ihr – diese Peinlichkeit zu ersparen.
    Hier tat sich bereits ein Unterschied auf von der Welt, die ich gewohnt war. In dieser Welt war Angst etwas Alltägliches, zumindest für Frauen und Mädchen. Man konnte Angst vor Schlangen haben, vor Gewittern, tiefem Wasser, großen Höhen, dem Bullen und dem einsamen Weg durchs Moor, ohne dass irgendjemand schlechter von einem dachte. In Mrs Mountjoys Welt jedoch war Angst etwas Beschämendes, das stets überwunden werden musste.
    Die Insel, die unser Ziel war, hatte einen Namen – Nausikaa. Der Name stand auf einem Brett am Ende des Landestegs. Ich sagte ihn laut, um zu zeigen, dass er mir vertraut war und dass ich ihn zu schätzen wusste, und Mrs Mountjoy sagte ein wenig überrascht: »Ach, ja. Diesen Namen hatte sie schon, als Daddy sie gekauft hat. Nach einer Gestalt bei Shakespeare.«
    Ich machte den Mund auf, um nein zu sagen, nein, nicht bei Shakespeare, und ihr zu erklären, dass Nausikaa das Mädchen am Strand war, das mit ihren Freundinnen Ball spielte und von Odysseus überrascht wurde, als der von seinem Nickerchen aufwachte. Ich hatte inzwischen erfahren müssen, dass die meisten Menschen, unter denen ich lebte, solche Informationen nicht gut aufnahmen, und ich hätte wahrscheinlich sogar den Mund gehalten, wenn die Lehrerin uns in der Schule danach gefragt hätte, aber ich glaubte, dass Menschen draußen in der Welt – der wirklichen Welt – anders sein würden. Gerade noch rechtzeitig bemerkte ich das Forsche in Mrs Mountjoys Ton, als sie »eine Gestalt bei Shakespeare« sagte – ein Wink, dass sie auf Nausikaa und Shakespeare sowie irgendwelche Anmerkungen meinerseits gerne verzichten

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