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kleiner Verträumter
Lotos“, sagte ich.
Mit einer unwilligen
Kopfbewegung machte sie sich los.
„Jetzt reicht’s aber, ja?“
schimpfte sie. „Wenn ich das gewußt hätte, dann hätte ich Ihnen nicht alles
erzählt. Das hat man von seiner Gewissenhaftigkeit!“
„Nicht böse sein. Abgesehen vom
Verträumten Lotos haben Sie gute Arbeit geleistet. Das sagt mir mein Gefühl.
Fassen wir zusammen...“
Zwischen den beiden Gläsern vor
mir lag der Block mit Notizen.
„Janine Dolmet. Achtzehn Jahre.
Wohnte bei ihren Eltern in der Rue du Faubourg-Saint-Martin. Mitglied im
Gil-Andréa-Fanclub. Selbstmord vor zwei oder drei Wochen. Aus Liebe zu dem
Sänger aus dem Fenster gefallen. Hat sie nun mit ihm geschlafen oder nicht?“
„Gin weiß es nicht“, sagte
Hélène.
„Wenn ja, könnte sie schwanger
gewesen sein.“
„Gin hat nichts davon gesagt.“
„Wissen Sie, wo man diese Gin
eventuell finden kann? Ein hübscher Name. Scheint überhaupt interessant zu
sein, das Mädchen.“
„Sie ist in vielerlei Hinsicht
interessant. Ich weiß, wo ich sie finden kann. Ihnen sag ich es aber erst, wenn
es unbedingt nötig ist... für die Ermittlungen...“
„Befürchten Sie, daß die Kleine
auch bei Privatdetektiven einen Rekord aufstellen will?“ lachte ich.
Hélène gab keine Antwort. Sie
sah mich nur lange an; dann zuckte sie die Achseln. Ich steckte den Block ein
und stopfte mir eine Pfeife.
„Eine leicht veränderte
Neuauflage des Falles Max Linder“, sagte ich. „Die Eltern der Dolmet haben den
Selbstmord ihrer Tochter schlecht verdaut und führen nun bestimmt was gegen
unseren Super-Casanova im Schilde. Die könnten ihm schon Knüppel zwischen die
Beine werfen! Nur: ich werde dafür bezahlt, ihm diese Knüppel aus dem Weg zu
räumen. Und ich bin ein pflichtbewußter Mensch. Erst mal werd ich die Eltern
interviewen...“
Ich winkte den Kellner heran
und zahlte.
„Das kann fünf Minuten dauern
oder auch mehrere Stunden. Warten Sie hier auf mich, Hélène? Sollte es zu lange
dauern, gehen Sie nach Hause. Wenn ich Sie brauche, ruf ich Sie an. Falls wir
uns nicht mehr sehen, schönen Sonntag.“
„Danke, Monsieur“, sagte der
Kellner, als hätte ich ihm den schönen Sonntag gewünscht. Er nahm das Trinkgeld
und entfernte sich auf seinen Plattfüßen. Als ich aufstehen wollte, flüsterte
Hélène mir zu:
„Warten Sie noch einen Moment.“
Sie sah besorgt aus.
„Was ist denn?“
„Ich gehe mit Ihnen hinaus. Der
Vierzigjährige, von dem ich Ihnen erzählt habe, einer der wenigen männlichen
Clubmitglieder, erinnern Sie sich?“
„Der Sie angequatscht hat, als
Sie weggingen, und der Sie begleiten wollte? Und den Sie dann zum Teufel
geschickt haben?“
„Genau der.“
„Und?“
„Der ist gerade reingekommen.“
„Ziemlich hartnäckig.“
„Sehen Sie jetzt nicht zur Tür.
Er setzt sich an einen leeren Tisch...“
Sie nahm ihre Tasche.
„Ich gehe mit Ihnen hinaus. Der
Kerl ist wirklich anhänglich. Das stand aber nicht im Programm.“
„Von wegen! Sie bleiben hier.
Großer Gott! Er wird Sie doch wohl nicht in aller Öffentlichkeit vergewaltigen?
Vielleicht ist was aus ihm rauszuholen. Kann man nie wissen. Nehmen Sie sich
ihn vor, und seien Sie nett zu ihm!“
Sie zischte:
„Seien Sie nett! Irgendwann
werd ich Sie beim Wort nehmen. Gehen Sie! Hauen Sie ab! Überlassen Sie das
sanfte Lamm den Gefahren der Großstadt. Aber ich sag’s Ihnen jetzt schon:
Sobald Sie um die nächste Ecke sind, sitz ich schon in der Metro. Heute war
mein freier Tag. Hab schon genug Überstunden gemacht.“
„Ja, ja“, sagte ich. „Gehen Sie
mit mir hinaus, vor mir, hinter mir, auf mir, unter mir! Aber Schluß jetzt mit
dem Ehekrach.“
Sofort sprang sie auf.
Ich betrachtete den Burschen
aus der Nähe. Vierzig Jahre, wie Hélène gesagt hatte. Schmales Gesicht,
ziemlich sympathisch. Durchdringende Augen, etwas tief in den Höhlen. Konnte
einem fast leidtun, ein Mann in dem Alter, stattliche Erscheinung — und dann
Frisur und Krawatte wie Gil Andréa! Angenommen, er war schlau genug — oder
hielt sich dafür — , um zu wissen, was er tat, so mangelte es ihm meiner
Meinung nach an Würde. Dagegen mangelte es ihm aber keineswegs an
Unverschämtheit. Bis dahin hatte ich immer gedacht, nur die Huren in der Rue
Saint-Denis wären so frech. Die haben Nerven! Quatschen einen an, auch wenn man
ein Mädchen am Arm hat. Wenigstens ist mir das vor ein paar Jahren passiert.
Die Gil-Andréa-Imitation war wohl bei
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