wsmt
konnte, sagte ich:
„Nestor Burma...“ Erklärend
fügte ich hinzu:
„Ich würde mich sehr gerne mit
Ihnen und Ihrem Mann unterhalten. Es ist wegen Ihrer Tochter.“
Sie wich augenblicklich zurück,
was ich ausnutzte, um mich durch die Tür zu zwängen, die ich hinter mir schloß.
Madame Dolmet sah mich mißbilligend an und sagte:
„Wir legen keinen Wert auf
Ihren Besuch.“
„Was ist denn los?“ fragte ein
Mann, der durch eine Glastür aus dem Eßzimmer in den Korridor trat. Er war
ebenfalls schon etwas älter. Hängeschultern, weiße Haare, Schnurrbart, gelblich
vom Tabak. Auch jetzt kaute er auf einem kalten Zigarrenstummel, den ich in den
Schnurrbarthaaren nicht sofort bemerkte. Der alte Mann sah müde aus in seinem
billigen schwarzen Anzug, dessen Stoff schon reichlich abgetragen war. Aber er
hätte in jedem anderen Anzug auch so mitgenommen ausgesehen.
„Janine“, sagte seine Frau und
reichte ihm die Karte.
Er hielt sie ganz nah an seine
Augen, las sie mehrere Male. Sagte nichts. Auch Madame Dolmet sagte nichts. Ich
auch nicht. Man hörte nur das Zischen eines Schnellkochtopfs auf dem Gasherd in
der Küche nebenan. Und das Klavier.
Der Alte hustete. Dann:
„Sind Sie Anwalt?“
„Mehr oder weniger.“
„Also mehr Winkeladvokat?“
Ich schwieg.
„Kommen Sie herein“, sagte er. „Ich
konnte immer schlecht Leute rauswerfen. Konnte nie Respekt einflößen. Ich hab
nur einen Vorzug. Oder einen Fehler. Ich folge nie den Ratschlägen, die man mir
gibt, weder den guten noch den schlechten. Kommen Sie herein und erzählen Sie
mir, was Sie sich ausgedacht haben. Hinterher ist es genauso, als wären Sie
überhaupt nie hiergewesen. Ich hab Zeit genug. Sie aber haben vielleicht keine
zu verlieren. Ich sage es Ihnen gleich...“
„Ich glaube nicht, daß ich
meine Zeit hier verschwende“, sagte ich.
„Das glaub ich doch“, erwiderte
er. „Aber...wie Sie wollen. Nur, rechnen Sie nicht damit, daß ich viel reden
werde.“
„Ich rede für zwei.“
„Jaja, wie alle Anwälte.“
Er drehte sich um und ging in
das Eßzimmer. Ich folgte ihm, die Alte kam hinterher. Das Zimmer erschien
trostlos im Licht einer Deckenlampe, der wohl einige Birnen fehlten. Der Tisch
war fürs Abendessen gedeckt. Wirkte aber auch nicht freundlicher. Das einzig
Lebendige war ein Foto an der Wand, auf dem ein ganz junges Mädchen abgebildet
war, fast noch ein Kind. Ihr strahlend schönes Gesicht drückte viel
Lebensfreude aus.
Vater Dolmet bot mir keinen
Stuhl an, setzte sich auch selbst nicht. Auch seine Frau blieb stehen. Der Mann
hielt immer noch meine Karte in der Hand. Jetzt warf er sie auf den Tisch. Auch
den Zigarrenstummel nahm er aus dem Mund. Dann sagte er:
„Offensichtlich hat Lécuyer Sie
hierher geschickt.“
„Ich kenne keinen Lécuyer.“
Er glaubte mir nicht, zuckte
die Achseln. Anscheinend lauschte er dem Klang des Pianos, so als hörte er es
zum ersten Mal. Ich sagte:
„Ich verstehe, wie schmerzlich
dieses Gespräch für Sie sein muß. Aber ich versuche, Leute von ihren Sorgen zu
befreien. Ihre Tochter ist aus Liebe gestorben, hat man mir erzählt. Sie liebte
den Sänger Gii Andréa. Irgendwie ist sie von ihm enttäuscht worden Die Mutter
seufzte. Der Vater schob den Zigarrenstummel wieder in die dichten
Schnurrbarthaare. Das war alles.
„Ich möchte wissen, ob diese
Version stimmt.“
„Warum?“ Fragte Monsieur
Dolmet.
„Um Sie vor einer Dummheit zu
bewahren. Vielleicht ist Gil Andréa Ihrer Meinung nach ein Mörder, und Sie
wollen sich an ihm rächen. Das würde Ihre Tochter nicht wieder lebendig
machen.“
„Was Sie sagen, ist richtig“,
flüsterte er nach einer Weile. „Die Gründe für Janines Selbstmord und die
Unmöglichkeit, sie wieder lebendig zu machen. Ich werde nicht versuchen, mich
zu rächen. Vielleicht weil ich ein Feigling bin. Lécuyer sagt das jedenfalls.
Ich weiß es nicht.“
„Man versucht, Gil Andréa in
Schwierigkeiten zu bringen“, sagte ich. „Das könnte von Ihnen ausgehen.“
Ich konnte die Segel streichen.
Die beiden harmlosen Alten hier waren nicht in der Lage, sich zu wehren. Ich
spürte es, hatte es auf den ersten Blick gespürt. Ich konnte verduften. Aber
vielleicht war noch etwas aus ihnen rauszuholen. Schade, daß sie so wenig
gesprächig waren, Vater wie Mutter.
„Schwierigkeiten?“ fragte
Dolmet und sah auf, aber ohne Schadenfreude.
„Ja.
„Vielleicht gibt es eine
Gerechtigkeit“, sagte er ohne rechte Überzeugung. „Sie arbeiten also
Weitere Kostenlose Bücher