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die Scheibe hindurch an. Ich durchkämmte den Abschnitt des
Faubourg Saint-Denis von der Rue de la Fidélité bis zum ehemaligen Gefängnis
Saint-Lago. Dann schnüffelte ich in der Rue de Strasbourg herum, in der
Umgebung der Gare de l’Est. Dort wimmelte es von Leuten, die mit den
Vorortzügen nach Hause fahren wollten. Keine Clara Nox. Nix! Ich ging durch die
Rue d’Alsace, unter der verglasten Galerie hindurch, die den Bahnhof mit dem
Verwaltungsgebäude verbindet. Dann führt eine doppelte Steintreppe auf den
erhöhten Abschnitt der Straße, die dadurch nicht weniger trostlos aussieht. Vor
allem an der Brüstung, von wo man einen Ausblick auf die Flachdächer hat, die
Bahnsteige und Schienen verdecken. Ich ging die Treppe hinauf. Hier und da
stieg zwischen zwei Flachdächern eine Rauchfahne auf oder wurde ein Dampfstrahl
abgelassen. Der Lärm des Bahnsteigbetriebs verstummte erst unter dem
eindrucksvollen Bogen der Betonbrücke in der Rue Lafayette. Hier fuhren die
Autos ununterbrochen.
Ich gabelte die gute Frau in
einem rustikal aussehenden Bistro Ecke Rue des Deux-Gares auf. Zuerst erkannte
ich sie gar nicht. Ich sah nur neben drei Männern irgendeine Besoffene im
Pelzmantel an der Theke stehen, fix und fertig. Aber dann forderten ihre
Begleiter sie zum Singen auf. Das war alles andere als berühmt. Zum
Steinerweichen. Nur hin und wieder erinnerten ein Ton oder sogar eine Tonfolge
an das verlorene Talent. Kaum zu glauben! War das Clara Nox? Ich war ihr nie begegnet, hatte wie jeder aber Fotos
von ihr gesehen. Sie hatte sogar in einem Film mitgespielt, vor kaum zwei
Jahren. In diesen zwei Jahren war sie um zwanzig gealtert, bis auf ein paar
Monate.
ihre klägliche Einlage war zu
Ende. Ironischer Beifall von ihren Saufkumpanen.
„Repertoire Clara Nox“,
bemerkte ich.
Mit einer immer noch schönen
Hand nahm sie irgendein Glas von denen, die auf der Theke standen, und hob es
an ihre auffällig geschminkten Lippen. Während sie den Inhalt runterkippte, sah
sie mich über den Glasrand hinweg finster an.
„Ja und?“ fragte sie und
stellte das leere Glas wieder hin.
„Nichts“, sagte ich. „Sie sind
Clara Nox.“
Sie steckte sich eine Zigarette
ins Gesicht.
„Ja und?“ wiederholte sie.
Ich gab ihr Feuer.
„Nichts.“
Sie blies mir den Rauch voll
ins Gesicht.
„Du siehst beschissen aus“,
lallte sie.
Die anderen lachten sich
halbtot. Ich lachte auch.
„Ich weiß. Sie sind nicht die
erste, die mir das sagt. So langsam gewöhn ich mich dran. Sie haben bestimmt
‘ne Menge durch den Reifen springen lassen, hm?“
„Wen? Hunde?“
„Männer.“
Sie verzog das Gesicht zu einem
Lächeln.
„Das, mein Lieber...“
„Schon gut“, sagte ich. „Ist
sowieso alles Quatsch. Ich geb einen aus.“
„Sind ‘n Schatz,“ brachte sie
mühsam hervor. „Jeder, der ein’n ausgibt, ist ‘n Schatz. Hat nichts z’ tun mit
Kies oder kein Kies... Bin keine Miß...nicht weil ich kein Geld hab. Könnte mir
selbst ein’n ausgeben, wie ‘ne große...“
Zum Beweis holte sie ein paar
Tausenfrancscheine aus der Tasche ihres luxuriösen Mantels und legte sie auf
die Theke.
„...Aber wenn mir einer einen
ausgibt, trink ich noch einen und geb auch einen aus. Sind ‘n Schatz. Was
schlucken wir?“
Der Wirt stellte eine Runde für
alle hin, vergaß auch sich selbst nicht dabei. Ich nahm die Scheine von der
Theke und stopfte sie der Sängerin in den Mantel.
„Betatsch mich nicht“,
kokettierte sie.
Alles lachte:
„Prost“, sagte ich.
Wir tranken. Eine Runde. Noch
eine. Und noch ein paar. Ganz schön viel. Die Zeit verging. Die Männer hauten
ab, zusammen oder alleine. Clara Nox wurde mit der Zeit immer anhänglicher und
immer weniger amüsant auf die Dauer. Die drei waren froh, daß ich mich um sie
kümmerte. Schließlich hatte ich mich in ihre Runde gedrängt, ohne dazu
eingeladen zu sein, oder?
Als wir alleine waren, tranken
wir noch ein Glas.
„Ich bin blau“, lallte der
Ex-Star, unterbrochen von einem Schluckauf. Zeit, daß sie es merkte. Sie
wischte sich über die Lippen und verschmierte dabei das Lippenrot.
„Ich auch“, sagte ich. So
langsam wurde ich tatsächlich besoffen.
„Hab die Schnauze voll. Ich will
nach Hause. Hoffentlich kann ich noch.“
Sie schwankte, hielt sich mit
beiden Händen krampfhaft an der Theke fest. Eine von diesen praktischen Theken,
die man überall einführen sollte. Gewölbte Sicherheitskante, wo sich die Finger
festkrallen können. Ideal für stehende
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