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Schauspielers geworfen. Nur so eine Idee. Man kann nie
wissen. Solange ich nicht mit Mado sprechen konnte, wollte ich mir die Zeit
vertreiben und dem Zufall gehorchen. Ein Besuch bei Nicolss würde mich sicher
nicht überanstrengen.
Ich verabschiedete mich von der
Concierge, wartete, bis daß sie wieder in ihre Loge ging. Dann schlich ich mich
an ihr vorbei und ging in die zweite Etage. Diesmal gaben die ausgetretenen
Stufen unter meinem Gewicht nicht das leiseste Geräusch von sich. Nicht so wie
bei meinem ersten nächtlichen Besuch. Und nicht deswegen, weil es um mich herum
lauter war. Es herrschte immer noch die gleiche Stille. Das Haus schien
unbewohnt. Seine Bewohner waren wohl unterwegs, arbeiten.
Diesmal steckte kein Schlüssel
im Schlüsselloch. Da aber auch kein Riegel vorgeschoben war, hatte ich leichtes
Spiel bei meiner gesetzwidrigen Arbeit.
Die Wohnung des alten
Schauspielers roch noch muffiger, nach altem Schweiß. Die Fenster waren
geschlossen, die Läden ebenfalls. Ich zündete Kerzen an. Draußen war es noch
hellichter Tag, so daß man das Kerzenlicht durch die Spalten der Fensterläden
nicht sehen würde. Immer noch herrschte schludrige Unordnung. Ein Schrank stand
leicht auf, so als wäre er durchwühlt worden. Aber vielleicht hatte auch nur
jemand in aller Eile ein paar Kleidungsstücke rausgenommen und vergessen, die
Tür zu schließen. Die klapprige Schreibmaschine stand immer noch am selben
Platz. Ich sah in die Mappe, die das Briefpapier der Agentur Gauri enthalten
hatte. Sie enthielt es nicht mehr. Ich wußte nicht, ob ich damit gerechnet
hatte oder nicht. Um nicht umsonst eingebrochen zu haben, stöberte ich noch in
den Papieren, die sich auf einer Ecke des Kamins stapelten. Alte Programme.
Vergilbte Zeitungsausschnitte. Fotos von Künstlern beiderlei Geschlechts und
jeden Alters, mit oder ohne Widmung. Ich hatte das alles neulich nachts schon
gesehen. Kein Name, kein Gesicht sagte mir irgendetwas. In der Mehrheit
Gesichter von jungen Mädchen. Vielleicht war Nicolss auch so ein Schwein, hätte
Hélène gesagt, die nicht frei von Vorurteilen ist. Jedenfalls, wenn es sich um
seine Eroberungen handelte, dann hatten die jungen Damen es nicht für nötig
gehalten, ihre Fotos mit liebevollen Worten zu versehen. Nicht einmal eine
Unterschrift.
Genau besehen war das alles
Quatsch. Wirklich, was wollte ich hier? Ein Foto von Janine, zum Beispiel?
Bestimmt nicht. Auch die Fledderei hat seine Grenzen. Ich riskier zwar oft eine
dicke Backe. Gut. Aber das wäre dann doch zu dick aufgetragen, sozusagen
unverdaulich. Vielleicht wollte ich mir nicht eingestehen, mich unnötigerweise
in diese Wohnung und damit in Gefahr begeben zu haben. Meine Unvorsichtigkeit
wurde aber dennoch belohnt. Unvorsichtigkeit wird immer belohnt. Entweder man
findet was, oder man kriegt eins über den Schädel. Irgendetwas bringt es immer ein.
Auf einem Foto lächelte mich eine bezaubernde Brünette verführerisch an. Dazu
eine abgedroschene, freundliche Widmung, unterzeichnet mit Thérèse. Thérèse?
Ich kramte in meinem Gedächtnis. Es gibt eine Thérèse von Lisieux und eine
Thérèse von Avila. Dieses Kind hier war aber keine von beiden. Sah ziemlich
unkeusch aus, furchtlos. Eine Thérèse von den Tausenden und Abertausenden, die
im Umlauf sind. Wenn es nicht sogar die momentane Bettgenossin von Gil Andréa
war. Ein Mädchen namens Thérèse, hatte Mado gesagt. Ich steckte das Foto ein.
Mal sehen, ob ich nicht woanders Grips und Mundwerk anstrengen konnte.
Ich verließ das Haus ohne
Zwischenfälle und ging in die Chope
des Singes, um etwas zu trinken und Mado anzurufen. Wieder ein
Gespräch für die Katz. Der Direktorensessel in der Agentur Interstar war immer
noch leer.
Draußen pfiff ein frischer Wind
vom Bassin de la Viltouze und kräuselte das dunkle Wasser auf dem Kanal.
Mein Auto stand in der Garage.
So konnte ich die gesunden Freuden des Spazierengehens genießen. Ich schlendere
gerne durch Paris. Über die Rue des Récollets gelangte ich zur Gare de l’Est.
Wenn man den eleganten Bahnhof
von seinem großen Vorplatz aus sieht, würde man ihn nicht für einen Ort der
Melancholie, der traurigen Ereignisse halten. Von hier aus ging’s an die Front.
Oft kehrten nur Zinksärge zurück. Hier gab Madame Bessarabo nach Nancy die
Leiche ihres Mannes als Stückgut auf. Und hier hinterließ 1948 ein
graugekleideter Mann, den man nie mehr wiedersah, bei der Gepäckaufbewahrung eine
Offizierskiste (schon wieder Krieg!)
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