Wu & Durant 01 - Umweg zur Hölle
möglicherweise alles anders ausgegangen. Möglicherweise auch nicht, weil Eddie McBride nie viel Glück gehabt hatte.
Nachdem Eddie McBride sich eine Art Befragungstaktik zurechtgelegt hatte und zu fragen begann, merkte er schnell, daß die Leute nicht im mindesten zögerten, über alles und besonders über sich selbst mit ihm zu reden. Daß er sich als Reporter der Washington Post vorstellte und erklärte, er suche eine gewisse Silk Armitage, schien niemanden zu interessieren, zumal niemand sie kannte. Worüber jeder reden wollte, das waren die großen Probleme der eigenen kleinen Welt, die, wie McBride bald merkte, vor allem aus Krankheit, Scheidung, Ängsten, unbezahlten Rechnungen, Argwohn, zerstobenen Träumen, Ressentiments, einer Menge Haß und nicht viel Hoffnung bestanden.
McBride hatte schon neun Bars, zwei Schnapsläden, vier Tankstellen, drei Kosmetiksalons, zwei Reinigungen, einen Waschsalon, drei Cafés und zwei Drugstores abgeklappert, als er seine Suche in einer kleinen italienischen Bäckerei, die einem gewissen Angeletti gehörte, fortsetzte.
Aus seinem Wagen, den er etwa hundert Meter weiter auf der anderen Straßenseite geparkt hatte, beobachtete Solly Gesini, wie McBride die Bäckerei betrat. Gesini hatte längst begriffen, daß McBride irgendwas oder irgendwen suchte, nur blieb ihm unerfindlich, was oder wen.
Gesini betrachtete versonnen die Bäckerei und den italienischen Namen darüber und ließ sich von beidem zum weiteren Vorgehen inspirieren. Wenn McBride wieder aus dem Laden käme, würde er reingehen und rauszufinden versuchen, was, zum Teufel, McBride im Schilde führte. Würde er nicht fündig, könnte er sich ein bißchen Gebäck kaufen, vielleicht die Schokoladenplätzchen mit den Walnüssen, die so verlockend im Schaufenster lagen. Da die M & Ms längst verzehrt waren, plagte Gesini nicht nur die Neugier, sondern auch der Hunger.
Angeletti stand selbst hinter der Theke, als McBride eintrat. Angeletti war ein kleiner, rundlicher Mensch mit traurigen Augen, der aussah, als täten ihm möglicherweise die Füße weh und als wäre er möglicherweise ein Opernfan. Denn im Hintergrund tönte nicht gerade leise Verdis Rigoletto, erster Akt.
Angeletti bediente gerade einen Kunden, also besah sich McBride die Glaskästen mit Kuchen und Brot, aber irgendwie lustlos, weil er kein Freund von Süßigkeiten war. Angeletti ging dann zur Kasse, legte aber auf dem Weg dorthin eine Pause ein und horchte mit schiefem Kopf auf den hohen Ton, an der der Tenor sich gerade versuchte. Als der Ton meisterlich geschafft war, wie er immer geschafft wurde, lächelte Angeletti trotzdem erleichtert auf und drückte die Kassentaste.
Als der Kunde weg war, schlenderte McBride zur Kasse hinüber.
»Mögen Sie Opern?« sagte Angeletti.
»Ich weiß nicht. Ich höre nie welche.«
»Dann hören Sie jetzt mal zu.«
Der Tenor langte neuerlich nach einem hohen Ton, und als er ihn akkurat eingefangen hatte, lächelte Angeletti wieder und sagte: »Irre, was?«
»Doch, ja«, sagte McBride.
»Was soll’s denn sein?«
»Ich möchte gar nichts kaufen, ich suche jemand.«
»Polizei?«
»Nein, nein, mein Name ist Tony Max, ich bin Reporter der Washington Post.« McBride fischte seinen falschen Presseausweis heraus und zeigte ihn Angeletti, der ihn interessiert betrachtete.
»Kein Witz – Washington also. Wen, zum Teufel, suchen Sie denn in dieser lausigen Straße?«
»Silk Armitage.«
»Die Sängerin?«
»Die Sängerin. Haben Sie sie mal zufällig hier gesehen?«
»Sie meinen die Sängerin, die all die Platten gemacht hat? Mit ihren Schwestern, wie hießen sie noch – Ivory und Lace, ja, genau. Und die soll hier in der Gegend wohnen?«
»Wir haben einen Tip bekommen, daß sie möglicherweise hier wohnt.«
»Warum sollte so jemand hier wohnen?«
»Genau das möchte ich herausfinden.«
»Mit ihrem Geld kann sie doch weiß Gott schöner wohnen. Beverly Hills oder so. Hat sie Ärger?«
»Weiß ich nicht. Jedenfalls ist sie verschwunden. Wir wüßten gern den Grund.«
Angeletti stützte gemütlich die Ellenbogen auf die Theke und legte den Kopf wieder schief, als lausche er dem Rigoletto. »Soll ich Ihnen was sagen? Ich weiß noch genau, wie ich sie zum erstenmal singen gehört habe, die Mädchen, meine ich. Muß ewig her sein – frühe sechziger Jahre? Yeah, so ungefähr. In der Sullivan-Show, Sonntag abend. Und da habe ich sofort zu meiner Frau gesagt: ›Die Kleine da‹ – Silk war die Kleine, wissen
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