Wu & Durant 01 - Umweg zur Hölle
»Er hatte einen komischen Namen.«
Wu wedelte mit den Scheinen, aber nur ein bißchen. »Und.«
»Childester«, sagte McBride, »Luke Childester.«
Wu reichte ihm kommentarlos das Geld. Durant lehnte sich in die Couch zurück, verschränkte die Hände hinterm Kopf und starrte gegen die Decke. Er schien in Gedanken verloren.
»Ich … ich weiß nicht, wann ich das zurückzahlen kann«, sagte McBride.
»Das ist für geleistete Dienste«, sagte Durant, noch immer gegen die Decke starrend. »Wir haben Ihre Zeit beansprucht, und Zeit hat ihren Preis, also zahlen wir dafür.«
McBride versuchte instinktiv, ihre Hintergedanken zu erraten. Er war überzeugt, daß sie welche hatten, und er nahm seine ganze Cleverness zusammen, um ihnen auf die Schliche zu kommen. Aber ganz plötzlich kam ihm der Gedanke, daß es möglicherweise gar keine Hintergedanken gab, und ein ihm fast völlig fremdes Gefühl der Dankbarkeit beschlich ihn, von dem er nicht mal wußte, ob er es mochte, denn es ließ ihn heftig schlucken.
»Hören Sie«, sagte er, und diesmal kiekste seine Stimme wirklich ein bißchen. Er zwang sie in Normallage. »Hören Sie, wenn Sie irgendwann mal irgendwas brauchen – egal was –, verdammt, Sie wissen, wo ich zu finden bin.«
»Richtig, Eddie«, sagte Artie Wu. »Das wissen wir.«
Sechs
Es war genau 17 Uhr 32, als Hart Ebsworth mit einem kleinen Packen Karteikarten in der Hand Randall Piers’ Bibliotheksbüro betrat und seinen üblichen Platz in einem der braunen Ledersessel einnahm, die vor dem geschnitzten Eichenschreibtisch aufgereiht waren. Piers sah zu, wie Ebsworth die Karteikarten auf der Schreibtischplatte ausbreitete und hin- und herschob, um sie in der gewünschten Reihenfolge zu ordnen.
Ebsworth konzentrierte sich eine ganze Weile schweigend auf die Karten, die allesamt mit seiner Schrift bekritzelt waren, die keiner außer ihm selbst entziffern konnte. Ebsworth arbeitete gern mit Karteikarten – sie waren akkurat, handlich und beweglich.
Schließlich war Piers des Wartens müde. »Und?« sagte er.
Ebsworth blickte hoch. »Zwei ausgefuchste Jungs«, sagte er. »Die haben schon alles gemacht. Oder fast alles.«
»Wirklich?« Piers hörte sich erfreut an. »Was haben sie nicht gemacht?«
»Offenbar haben sie nie jemanden umgebracht oder bestohlen, und sie waren nur zweimal im Knast, einmal in Mexiko und einmal in Djakarta. Und der Chinese ist Anwärter auf den Thron von China, wenn Sie mir folgen können. Der letzte der Mandschus. Sagt er jedenfalls.«
Piers nickte und grinste. Er sah erfreut aus. »Erzählen Sie«, sagte er.
»Von Artie Wu?«
»Yeah. Anwärter auf den Thron von China. Verdammt, das gefällt mir. Bei Gott, das gefällt mir wirklich.«
»Also, laut Wu – und er hat ein paar eindrucksvolle Dokumente, die seinen Anspruch bestätigen, obwohl sie natürlich gefälscht sein können –, also laut Wu ist er der illegitime Sohn der illegitimen Tochter des Knaben, der als letzter Kaiser von China den Thron bestieg und im Westen Pu Yi genannt wurde.«
Piers strahlte.
»Der Knabe bestieg 1908 als noch nicht Dreizehnjähriger den Thron, glaube ich. 1912 wurde er von Sun-Yat-sen zur Abdankung gezwungen, durfte aber noch bis etwa 1924 im kaiserlichen Palast wohnen bleiben. 1922, kurz bevor Pu Yi heiratete, brachte ein junges Mädchen aus dem Palast eine illegitime Tochter zur Welt. Pu Yi hatte sie, scheint’s, geschwängert. Seine Ratgeber wollten das Baby loswerden, erwürgen oder mit dem Palastmüll wegwerfen oder was weiß ich. Aber Pu Yi – was jetzt kommt, wird I hnen gefallen – zog einen seiner treu ergebenen Eunuchen ins Vertrauen …«
»Das erfinden Sie«, sagte Piers vergnügt.
»Nein, ich erfinde nichts.«
»Ein treu ergebener Eunuch, mein Gott!«
»Ja, und der treu ergebene Eunuch schmuggelte das Baby aus dem Palast und gab es in die Fürsorge von Mr. und Mrs. C. Howard Hempstead, ein Missionarsehepaar der Methodistenkirche, das um die Vierzig und kinderlos war.«
»Und sie nahmen das Kind zu sich.«
»Genau. Sie adoptierten das Mädchen und nahmen es mit nach San Francisco, als sie 1926 in die Staaten zurückkehrten.«
»Und was wurde aus dem kleinen Kaiser?«
»Er hat, wie gesagt, geheiratet, wurde irgendwann später doch aus Peking fortgejagt, landete in Tientsin und wurde, so um 1931, nachdem die Japaner die Mandschurei erobert hatten, von ihren Gnaden Kaiser der Mandschurei. Kein großartiger Job, aber er blieb Kaiser, bis 1945 die Russen ihn vom
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