Wu & Durant 01 - Umweg zur Hölle
die hübschen Korbmöbel, die dort einmal gestanden hatten. Jetzt war das einzige Möbelstück ein ausgedienter Kühlschrank ohne Tür, der direkt neben dem Fenster mit dem Schild stand, das auf Madame Szabos Fähigkeiten hinwies. Das Schild bestand aus einer roten Hand mit nach außen gekehrter Handfläche, an deren Rand in senkrechten schwarzen Buchstaben das Wort HANDLESEN stand.
Betty Mae blickte auf die Uhr und klopfte an Madame Szabos Tür. Es war elf – vielleicht ein paar Minuten später –, also war Betty Mae fast pünktlich. Vor sieben Wochen hatte sie sich um eine Viertelstunde verspätet, und Madame Szabo hatte die Sitzung kurzerhand gestrichen und Betty Mae ermahnt, in Zukunft pünktlich zu sein.
Betty Mae hatte sich Madame Szabos Verhalten mit dem Buch erklärt. Madame Szabo begrenzte die Zahl ihrer Kunden, um an dem Buch schreiben zu können, das den größten Teil ihrer Zeit beanspruchte. Das Buch, hatte Madame Szabo vage angedeutet, würde in der arroganten Welt der Wissenschaften wie eine Sensation einschlagen. Und Betty Mae glaubte ihr das unbesehen, weil Madame Szabo ihr einige erstaunliche Details aus dem Buch erzählt hatte. Betty Mae vermutete außerdem, daß Madame sich ein bißchen Geld gespart hatte, weil manchmal Tage vergingen, ohne daß sich eine Kundin in 2221 Breadstone Avenue blicken ließ. Betty Mae wußte es, weil sie gewissermaßen Wache hielt.
Gewiß verdiente Madame Szabo auch an den vier Untermietern, hatte Betty Mae sich ausgerechnet. Nette, höfliche Kinder, zwei Jungen und zwei Mädchen, alle Mitte Zwanzig. Tagsüber waren sie nicht da, hatte Betty Mae registriert, und wenn sie abends heimkamen, gingen sie fast nie aus. Allenfalls konnte man sie unten an der Ecke in Patty Pows Minimarkt beim Einkaufen sehen.
Madame Szabo öffnete auf Betty Maes Klopfen die Tür und trat zur Seite. »Willkommen, Madame«, sagte sie mit ihrer tiefen Stimme, die von ganz unten aus der Kehle zu kommen schien, und ihr ungarischer Akzent machte aus dem W ein V mit vorn über die Zungenspitze gerolltem R.
»Ich bin noch nicht zu spät, Honey?« sagte Betty Mae.
»Aber nein«, sagte Madame Szabo und das R rollte wieder vorn über die Zungenspitze.
Insgeheim fand Betty Mae, daß Madame Szabo zuviel Make-up auflegte. Vor allem zuviel grünen Lidschatten. Sie hätte richtig hübsch aussehen können, meinte Betty Mae, wenn sie sich bloß von der schwarzen Perücke getrennt hätte, die ihr bis fast in die Augen hing. Nicht mal die Farbe der Augen war zu erkennen, weil Madame Szabo immer eine Nickelbrille mit stark rosa getönten Gläsern trug.
Madame Szabo war etwa einsfünfundsechzig groß, soviel war zu sehen. Für Betty Mae war jedoch nicht erkennbar, ob sie dick oder dünn oder mittel war, denn sie hatte ständig dieses lose, kaftanähnliche Gewand an, das um ihre Figur herumhing und nur die Hände sehen ließ, die für Betty Maes Geschmack mit zu vielen, zu billigen Ringen geschmückt waren.
Das kaftanähnliche Gewand war aus dunkelgrünem Samt und hatte einen Stehkragen, der sogar den Hals verdeckte, was Betty Mae argwöhnen ließ, daß die Wahrsagerin damit ihre Falten verbergen wollte. Und wenn das zutraf, mußte Madame Szabo mindestens vierzig sein. Sie hatte außerdem einmal beiläufig erwähnt, daß sie damals, 1956, als die Ungarn den Ärger mit den Russen hatten, noch in letzter Minute fliehen konnte, also mußte sie um die Vierzig sein, obwohl sie mit all dem Make-up wirklich schwer zu schätzen war.
Die beiden Frauen gingen durch den Flur, bis sie fast die Treppe erreichten, die in den ersten Stock führte. Die paar Möbelstücke, die herumstanden, sahen alt und mitgenommen aus. Der Teppichläufer war in der Mitte abgetreten. Madame Szabo schob eine Flügeltür auf, die in ein Zimmer führte, das ehemals das Eßzimmer gewesen war. Sie bat Betty Mae mit einer Handbewegung und einem »Bitte« hinein.
Das Zimmer war matt erhellt von einer Stehlampe mit Fransenschirm und schwacher Birne. Schwere dunkelrote Vorhänge vor den Fenstern sperrten das Tageslicht aus. An den Wänden hingen ein paar Stiche mit europäisch anmutenden Straßenszenen. Dann gab es noch eine braune, durchgesessene Couch und zwei Polstersessel, der eine grün, der andere sandfarben. Auf dem Fußboden lag ein geblümter Teppich, auch nicht mehr neu, und neben der Stehlampe stand ein rundes poliertes Tischchen mit zwei Stühlen. Die Stühle hatten offenbar einmal zu einem Satz Eßzimmerstühle gehört. Überall war
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