Wu & Durant 02 - Am Rand der Welt
ist, nach eigenen Worten, menschlich »enttäuscht«, zumal er Botschaften der Nibelungentreue aus Washington erhalten hatte (»Wir lieben es, daß Sie demokratische Prozesse befolgen und werden Sie nicht im Stich lassen«, Mr. Vice-President George Bush, 1981). Einige Strömungen innerhalb der Reagan-Administration sind mit dieser Politik nicht einverstanden, zumal es darum geht, den kommunistischen Einfluß in der »Dritten Welt« zu vermindern.
Auf den korrupten Marcos-Clan (geschätzte 10 Milliarden beiseite geschaffte Dollar) folgt am selben Tag die »demokratische Hoffnung«, Corazón Aquino, Witwe des von Marcos mit Einverständnis der CIA 1983 ermordeten Oppositionspolitikers Benigno Aquino Jr., ins Präsidentenamt. Ihre Regierung ist von Anfang an instabil, vor allem die Loyalität der Militärs ist zweifelhaft. Verschiedene Guerilla-Gruppen koalieren für und wider und umgekehrt und vice versa auch, je nach Tageslage. Wer die Philippinen kennt, weiß, daß auch die Aquinos vornehmlich ein Familien-Clan sind, denn schließlich wird seit spanischen Kolonialzeiten der ganze Archipel mit seinen über 7000 Inseln, seinen ca. 85 Millionen Menschen und seinem unglaublichen Reichtum an Bodenschätzen und Natur von ungefähr 15 (!) Familien-Clans dominiert. Die Macht der Aquinos hängt an ihrer Kompromißfähigkeit und ihrem Willen, verschiedene Interessen zu bedienen. Dennoch, der erste Militärputsch gegen Corazón Aquino und ihr Kabinett erfolgt schon im Juli 1986 (und scheitert, sieben weitere folgen in kurzen Abständen) – da ist die Handlung unseres Romans gerade mal zwei Monate zu Ende.
Um einen drohenden Militärputsch und um eine mögliche Rückkehr des Marcos-Clans an die Macht dreht sich die ganze politische Rhetorik des Romans. Daß die fünf Millionen Dollar, die Artie Wu & Co. abräumen wollen, irgendwie »unsauberes« Geld sind, ist allen Beteiligten klar. Ihre Rationalisierung, daß man es für einen von Anfang an zum Mißlingen verurteilten Putsch ausgegeben könnte, um im Gegenschlag wieder die alten Verhältnisse herzustellen – mit den Kommunisten als Sündenböcken – liegt sozusagen in der Luft.
Und hat ihren Ursprung in der ganz konkreten Geschichte der Philippinen. Wir überspringen den Teil der komplizierten US-amerikanisch/philippinischen Verhältnisse, in dem die USA 1898 die Kolonialmacht Spanien ablösen, ihrerseits emsig in einem blutigen Kolonialkrieg 1899-1901 bis zu 6 Millionen philippinische Menschen massakrieren und den Anführer des Aufstandes Emilio Aguinaldo böse aufs Kreuz legen. Aguinaldo geistert als Zitat ständig durch den Roman, aber richtig interessant werden die geschichtlichen Bezüge erst im Zusammenhang von Zweitem Weltkrieg und der Jetztzeit des Buches.
Denn nachdem die Amis sich 1941 relativ schnell von den Japanern vom Archipel haben jagen lassen und das »Oberkommando« vom sicheren Australien aus plante und befahl, trug vor allem die Guerilla-Organisation Huk (= Hukbo ng Bayan Laban sa Hapon, abgekürzt Hukbalahap , oder eben Huk ) die Last der Kämpfe gegen die Japaner. Die Huk unterstützte auch die USA bei der Re-Invasion der Philippinen 1944 wesentlich. Weil die Huk aber der »bewaffnete Arm« der kommunistischen PKP war, passierte das, was ein Standardthema der amerikanischen Außenpolitik nach 1945 werden sollte: Die USA erkannten die Huk nicht an (wie sie auch 250000 philippinischen Soldaten innerhalb der amerikanischen Streitkräfte später Pensionen und Versorgungsansprüche verweigerte), nachdem sie heftig von ihrer militärischen Leistung profitiert hatten. Im Szenario des Kalten Krieges hatte man in der Huk einen erstklassigen Gegner, dazu ein hohes Verbitterungspotential und jede Menge antiamerikanischer Reflexe geschaffen.
Alejandro Espiritu, der alte, verwitterte und immer noch mehrfach tödlich um die Ecke denkende Guerilla-Chef, ist insofern eine durch die reale Geschichte legitimierte Figur, die Exposition des Romans in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs zwingend. Daß Ross Thomas selbst 1944 als 19jähriger Soldat bei einer Aufklärungseinheit an der Invasion der Philippinen teilgenommen hat und nach eigenen Worten das getan hat, »weshalb man 19jährigen jungen Männern Gewehre in die Hand gibt«, erhöht die atmosphärische und psychologische Stimmigkeit der ganzen Szenerie erheblich. So wie der Umstand, daß er zusammen mit seiner Frau Rosalie die Philippinen vor Niederschrift des Romans noch einmal besucht hat, um zu
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