Wu & Durant 02 - Am Rand der Welt
abgereist.«
»Was ist mit Mr. Wu – Mr. Arthur Wu?«
Sie brauchte weitere fünf Sekunden, um nachzusehen. »Tut mir leid, aber auch er ist abgereist.«
Booth Stallings dankte ihr, hängte den Hörer des Hausapparats ein und schlenderte zu einem Tisch im Foyer, wo er sich einen Scotch mit Wasser bestellte. Während er darauf wartete, zog er den anderen gelbbraunen Scheck hervor, zählte wie Minnie Espiritu tonlos die sechs Nullen und fragte sich dabei, wofür er das Geld ausgeben würde.
43
Am 16. Mai 1986, einem Freitag, um 12.45 Uhr saß Booth Stallings, das Gesicht der Frühlingssonne zugewandt, auf seiner Lieblingsbank am Dupont Circle, wartete auf seinen Mittagsgast und erinnerte sich ohne ersichtlichen Anlaß daran, daß Boswell an genau diesem Tag im Jahre siebzehnhundertundnochwas zum ersten Mal Dr. Johnson begegnet war.
Zwei Minuten später setzte sich Harry Crites neben ihm auf die Bank, rang sich ein Lächeln ab und sagte: »Was gibt’s zu Mittag?«
»Chili-Dogs vom Kiosk«, sagte Stallings und hielt ihm eine weiße, fettige Papiertüte hin.
»Ich mag Chili-Dogs«, sagte Crites, nahm sich einen, wickelte ihn aus und biß hinein – vornübergebeugt, um sich nicht zu bekleckern.
Stallings wickelte langsam seinen eigenen Chili-Dog aus. »Tut mir leid wegen deiner Angestellten, Harry. Aber ich konnte nichts für sie tun.«
Crites nickte, kaute und lächelte leicht, wobei er rechtzeitig daran dachte, keine Zähne zu zeigen. »Du meinst Georgia?« sagte er, nachdem er geschluckt hatte.
»Georgia«, sagte Stallings, neugierig darauf, mit welcher Selbstabsolution Crites aufwarten würde.
Harry Crites aß seinen Chili-Dog mit zwei gewaltigen Bissen auf, kaute noch ein paarmal, schluckte, wischte sich mit einer Papierserviette sorgfältig Hände und Mund ab, erhob sich und starrte auf Stallings hinab.
»Ich habe sie nicht angeheuert, Booth«, sagte er. »Sie hat mich angeheuert.«
Stallings starrte ohne zu zwinkern zurück, entschlossen, sich durch keine Regung etwas anmerken zu lassen – weder Überraschung noch Enttäuschung noch Trauer. Vor allem keine Trauer. »Sie hat dich angeheuert, damit ich gefeuert und dann angeworben werde«, sagte er, ohne es wie eine Frage klingen zu lassen.
»Du warst der Alleinanbieter, erinnerst du dich?«, sagte Crites. »Alles, was nötig war, waren ein paar Telefonate, ein Dinner im Madison und ein Abstecher nach L.A.« Er zeigte das Lächeln eines überlegenen Geistes. »Ich kann mir vorstellen, daß du gern wissen möchtest, was ich sie gekostet habe.«
Stallings nickte nur, wobei er sich selbst der Neugier wegen verachtete, die er nicht zu unterdrücken vermochte.
»Fünfzigtausend plus Spesen.« Wieder setzte Crites das überlegene Lächeln auf. »Aber, zum Teufel, Booth, alles hat doch bestens geklappt. Ich habe vor ein paar Wochen im Fernsehen diese große Beerdigung gesehen, die sie für Espiritu auf Cebu ausgerichtet haben. Gewissermaßen mußt du ihn also doch aus den Bergen heruntergeholt haben.« Offenbar mit einer Mischung aus Bedauern und Bewunderung schüttelte er den Kopf. »Diese Georgia«, sagte er. »Die ist schon eine, was?« Als Stallings nichts erwiderte, fügte er hinzu: »Du hast gehört, was passiert ist, oder?«
Stallings, der noch immer saß, blickte zu ihm auf und schüttelte einen Augenblick später den Kopf.
»Sie hat für sich selbst einen Deal ausgehandelt. Hat gegen Strafnachlaß alles verhökert, was sie über Marcos’ finanzielle Machenschaften weiß. Himmel, in ein oder zwei Jahren sollte sie wieder draußen sein. Vielleicht sogar früher.« Er hielt gerade lange genug inne, um Stallings mit einem grausamen Lächeln zu bedenken. »Glaubst du, du kannst so lange warten, Booth?«
»Warum nicht?« sagte Stallings und fügte hinzu: »Wer hat dir von dem Deal erzählt, den sie ausgehandelt hat?«
Harry Crites schien kurz davor, zu antworten, zuckte aber statt dessen die Achseln, drehte sich um und ging davon. Stallings schaute ihm hinterher. Dann lehnte er sich auf der Bank zurück und fragte sich, was Georgia Blue in eben diesem Augenblick tun und denken mochte. Da dies sowohl als sinnlos als auch pubertär war, fragte er sich, ob Harry Crites gelogen haben könnte.
Und in diesem Moment wurde es ihm plötzlich – geradezu schlagartig – mit überwältigender Klarheit bewußt. Und er begriff, was es war, das er zu tun und sein vermißte, brauchte, regelrecht wollte, nun, da er völlig erwachsen war. Oder zumindest
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