Wu & Durant 02 - Am Rand der Welt
würden sogar einen Heiligen über den Tisch ziehen.
Die Wu-Familie schob sich an Ferdinand Marcos’ kleinem Arbeitszimmer vorbei, dessen Regale noch immer stapelweise populäre Geschichtsbücher, Biographien und hochtrabende politische Exposés enthielten, verfaßt – zum größten Teil – von amerikanischen Autoren. Das Arbeitszimmer war ein fensterloser Raum, versteckt tief im Inneren des Malacañang-Palastes an den Ufern des Flusses Pasig in Manila. Die Wus hatten bereits die Diskothek besichtigt sowie den Thronsaal und bewegten sich gerade auf Imelda Marcos’ Schlafzimmer zu, als Agnes Wu sich zu dem ihnen folgenden Chauffeur des Peninsula Hotels umdrehte, der den Palast ebenfalls zum ersten Mal besuchte.
»Wie viel Zeit haben wir noch, Roddy?« fragte sie.
Rodolfo Caday schaute auf die Armbanduhr. »Noch reichlich, Madam. Der Flug geht erst um vier, und ich sorge dafür, daß A und A uns hier draußen treffen.«
A und A waren Wus dreizehn Jahre alte Zwillingssöhne Arthur und Angus, die den Palast bereits zweimal auf eigene Faust durchstreift hatten. »Dann müssen wir ihretwegen also nicht zum Hotel zurück?« sagte Agnes Wu.
»Nein, Madam.«
Mit einer knappen Handbewegung, die den ganzen Palast einbezog, sagte Agnes Wu: »Und?«
Rodolfo Caday runzelte die Stirn und zuckte dann mit den Achseln: »Viel albernes Zeug.«
Im Schlafzimmer von Imelda Marcos kommentierte eine der freiwilligen Filipino-Führerinnen in nicht ganz gelangweiltem Tonfall etliche der interessanteren Bestandteile des Raumes, insbesondere das riesige rote Satinbett. An die zehntausend Filipinos zogen jeden Tag durch den Palast, und die Handvoll von ihnen, die jetzt im Schlafzimmer standen, bemühten sich nicht, ihren Voyeurismus zu verbergen. Einige Männer stießen einander in die Rippen. Einige Frauen kicherten. Andere hielten sich Taschentücher über Mund und Nase, als wollten sie alle verbliebenen Unglückskeime, die Imelda Marcos befallen hatten, aussieben.
Artie Wus jüngere Tochter schaute zu ihm hoch. »Wie kommt es, daß die so massenhaft – na ja, solche Massen gekauft haben?«
»Vielleicht ist das ihre Art gewesen, mit den anderen mitzuhalten.«
»Du meinst, die Dame mit den meisten Schuhen gewinnt?«
»Vielleicht.«
»Hat sie aber nicht.«
»Vielleicht ist es gerade das«, sagte Artie Wu.
Im Mittelpunkt des Tollhauses namens Manila International Airport stand Wu, zählte 50-Peso-Scheine ab und verteilte sie an Söhne und Töchter, Gepäckträger und selbsternannte Boten sowie an den Chauffeur, Rodolfo Caday, wobei er ihnen echte oder fingierte Aufträge gab, damit er ein paar Minuten mit seiner Frau allein sein konnte.
Fast jedermann hatte seine Freude daran, Mr. und Mrs. Arthur Case Wu anzustarren. Mit besonderer Freude begaffte man die große Frau mit dem blaßgelben Haar, den großen, klugen grauen Augen und den nicht ganz vollkommenen Gesichtszügen, die fast königlich wirkten – bis sie grinste. Wenn sie grinste, sah sie ein bißchen verrückt aus.
Die Gaffer hatten ferner ihre Freude daran, verstohlene und, wie sie hofften, unauffällige Blicke auf den großen Chinesen im weißen Seidenanzug und mit Panamahut zu werfen, der einen Ebenholzstock mit sich führte – einen Spazierstock eigentlich –, der, wie alle wußten, einen Degen enthielt, obwohl das nicht stimmte. Agnes Wu bezeichnete den Seidenanzug immer als den »Muß-los-und-mir-Geld-besorgen-Anzug«, weil Wu ihn fast nie anzog, außer wenn sie pleite waren oder kurz davor.
Agnes Wu fuhr mit einer Hand über das makellose Revers des Anzuges, um eine imaginäre Knitterfalte glattzustreichen. »Jetzt klär mich mal auf«, sagte sie. »Was ist, wenn ihr nach Baguio kommt und du und Durant den Vetter immer noch nicht aufstöbern könnt?«
»Wir werden ihn aufstöbern«, sagte Artie Wu.
»Ihr werdet euch früher oder später damit abfinden müssen, Artie. Der Vetter hat dich und Durant reingelegt.«
Wu nickte. »Deswegen müssen wir ihn ja aufstöbern. Quincy und ich haben immerhin einen Ruf zu wahren.« Dann lächelte er – das grandiose weiße Wu-Lächeln, hinter dem ein Lachen perlte, das jederzeit auszubrechen drohte. Das Lächeln verriet Agnes Wu, daß sie alles vergessen konnte, was ihr Mann gerade gesagt hatte.
Sie grinste zurück und wirkte dabei wiederum auf charmante Weise ein wenig daneben. »Und wenn ihr den Vetter nicht gefunden habt und euer Ruf dahin ist, was dann?«
»Dann kommen wir hierher zurück und nehmen das
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