Wu & Durant 02 - Am Rand der Welt
»Aber wenn Sie es so angehen, wie wir’s angehen werden, müssen Sie aussehen, als könnten Sie die Chips kaufen und hätten dann immer noch das nötige Kleingeld übrig. Da draußen schieben sie einem keine Chips zu, wenn man schäbig aussieht, weil schäbig kein Vertrauen erweckt, und nur das haben wir anzubieten. Was Vertrauen erweckt, ist Fassade – kein Protz, aber Fassade. Kennen Sie den Unterschied?«
Stallings hatte gelächelt und mit einem Nicken bejaht.
»Na ja, ich bitte untertänigst um Vergebung, aber Sie sehen aus wie ein Collegelehrer aus der Provinz, der die Festanstellung verpaßt hat. Ich meine, wie ein Bursche, dessen Frau ihm jeden siebten Freitag die Haare schneidet, während sie sich im Fernsehen den politischen Wochenrückblick reinziehen und über den Faschisten im Weißen Haus stöhnen und meckern.«
Stallings, noch immer amüsiert, hatte wieder genickt. »Meine Tochter schneidet sie«, hatte er gesagt. »Meine Tochter in Cleveland Park. Sie würde übrigens jede Verleumdung gegen den derzeitigen Bewohner des Weißen Hauses unterschreiben, der zufällig kein Faschist ist, sondern Schauspieler.«
»Na ja, das ist fast genauso schlimm.«
»Meine Tochter würde nicht so denken, wenn er Gregory Peck wäre.«
Overby hatte beifällig genickt. »Ja, Peck sieht eher wie ein Präsident aus.«
Nachdem sie die Kabinen der Herrentoilette überprüft und sich vergewissert hatten, daß sie leer waren, unterzog Overby Stallings einer abschließenden Komplettmusterung, seufzte und sagte: »Fangen wir mit dem Grundlegenden an. Machen Sie Ihren Hosenstall zu.«
»Jesses«, sagte Stallings und tat wie geheißen.
»Und richten Sie die verdammte Krawatte.«
»Hatte nie viel für Krawatten übrig.«
»Das ist Ihr ›Stockkonservativ‹-Abzeichen. Also lassen Sie es aussehen, als wären Sie dran gewöhnt.«
Stallings schob den Knoten hoch, bis er saß, und rückte die Nadel zurecht, die er für albern hielt. Overby grunzte beifällig und sagte: »Jetzt sehen Sie wie ein Mann aus, der nein sagen kann.«
Stallings lächelte. »Zu Harry Crites?«
»Warum nicht? Wie die meisten Jungs aus dem Osten drüben spaziert er wahrscheinlich in seiner Version vom Los-Angeles-Freizeitlook rein, den Klamotten also, in denen er daheim die Würstchen grillt. Er sieht uns im feinsten Zwirn, und da steht er dann in seinen Schlabberlumpen. Und was bringt uns das? Den Vorteil, ganz genau.«
Overby drehte sich um und musterte sich und seinen nachtblauen Anzug im Spiegel der Herrentoilette. Er war offenbar zufrieden mit dem, was er sah, selbst nachdem Stallings gesagt hatte: »Sie kennen Harry Crites nicht.«
Sie saßen an einem Tisch mit gutem Blick auf den Eingang der Polo-Lounge beim Kaffee. Overby behielt die Tür im Auge, während Stallings die anderen Frühaufsteher betrachtete und ohne großen Erfolg versuchte, die echten Talente von denen zu unterscheiden, die damit hausieren gingen.
Während er sich umschaute, sah Stallings, wie sich Overbys Gesichtsausdruck veränderte. Eben noch hatte Overby das gezeigt, was Stallings mittlerweile insgeheim als seine Fallemit-Köder-Miene bezeichnete – eine Miene, die von gelassenem Selbstvertrauen, reger Aufmerksamkeit und unendlicher Geduld zeugte. Es war derselbe Ausdruck, den Overbys Gesicht gezeigt hatte, als er am Flughafen wartete.
Stallings wurde neugierig, als dieser Ausdruck verschwand und, wenn auch nur für einen Augenblick, durch einen Anflug von etwas ersetzt wurde, das eher Besorgnis als Furcht ähnelte. Doch dann kehrte die Falle-mit-Köder-Miene zurück, diesmal sogar noch ausgeprägter als zuvor, und Stallings wandte sich dem zu, was Overby sah.
Die große Frau mit den rotbraunen Haaren stand im Eingang und durchkämmte mit ihren Blicken den Raum. Als ihre dollargrünen Augen Stallings erkannten, lächelte und nickte sie beinahe. Als ihr Blick Overby erreichte, kam er zum Stillstand. Nichts veränderte sich in ihrem Gesicht. Aber das gegenseitige Anstarren dauerte, fand Stallings, so lange, daß sie und Overby die letzten paar Jahre aufarbeiten konnten. Dann drehte sich die Frau abrupt um und verließ die Polo-Lounge.
»Sie kennen sie?« sagte Stallings.
»Wen?«
»Kommen Sie schon, Otherguy.«
»Kennen Sie sie?«
»Sie gehört zu Harry Crites.«
Overby entspannte sich, während ein berechnendes Lächeln ihm den letzten Rest Besorgnis aus dem Gesicht wischte. »Tja«, sagte er, »was soll man da sagen.« Da es keine Frage war, erwiderte
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