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Wu & Durant 02 - Am Rand der Welt

Wu & Durant 02 - Am Rand der Welt

Titel: Wu & Durant 02 - Am Rand der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ross Thomas
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Morgenhitze.
    Er setzte die geschliffene Sonnenbrille auf, während der Hotelportier ein vollklimatisiertes Taxi herbeirief. Stallings’ Sehfähigkeit betrug noch immer 70 bis 80 Prozent, und die Brille diente nur dazu, einen leichten Astigmatismus zu korrigieren, den er gewöhnlich ignorierte.
    Er wußte, daß wohlmeinende Gene seine Sehfähigkeit praktisch intakt gehalten und ihm die Mehrzahl seiner Haare und sämtliche Zähne gelassen hatten. Er wußte auch, daß er sich nur durch reines Glück noch nie einer Operation hatte unterziehen müssen, Knochenbrüchen entgangen war und keine Schmerzen gelitten hatte, die Aspirin nicht lindern konnte – von den gelegentlichen akuten Katern abgesehen. Gegen diese verließ er sich auf Alkaseltzer und ein oder zwei Bier.
    Stallings hielt sogar sein Geschlechtsleben für passabel, wenn auch unregelmäßig. Die meisten Frauen, mit denen er jetzt ins Bett ging, waren geschieden, nahezu eine Generation jünger als er (etwa Anfang Vierzig) und noch immer ratlos, weshalb ihre Ehemänner sie einer Jüngeren wegen verlassen hatten. Stallings gab stets vor, darüber genauso ratlos zu sein wie sie, und die beiderseitige Ratlosigkeit bescherte ihnen ein unerschöpfliches Gesprächsthema.
    Worüber Stallings sich gelegentlich Sorgen machte, war sein Verstand. Er hatte Angst, ihn zu verlieren. Er hatte vor langer Zeit erkannt, daß sein Verstand, wenn nicht brillant, so doch wendig, schnell und hellwach war. Und auch wenn er hin und wieder ein paar lockere Schrauben und lose Bretter aufwies, so verfügte er doch über einen sorgfältig gepflegten Sinn für Objektivität. Sollte er jemals einen Sprung in der Schüssel bekommen, vertraute Stallings darauf, daß ihm die Objektivität die Optionen aussondern helfen und zum Selbstmord raten würde. Schon vor Jahren hatte er beschlossen, daß er lieber tot als vertrottelt sein wollte.
     
    Um zum Amerikanischen Soldatenfriedhof zu gelangen, nahm der junge Taxifahrer den Weg (oder Umweg, wie es Stallings zumindest vorkam) durch eine Villengegend mit hochherrschaftlichen, von hohen Mauern umgebenen Häusern, die von abschreckend wirkenden Männern bewacht wurden. Stallings fragte, welche Gegend das sei, und der Fahrer sagte, dies sei Forbes Park, und dort lebten die Reichen und die Ausländer. Stallings erhaschte einen Blick auf die Flaggen von Spanien, Westdeutschland und auf die Trikolore Frankreichs. Es gab noch etliche andere, aber er sauste zu schnell daran vorbei, um sie erkennen zu können.
    Hinter Forbes Park kam die lange, U-förmige Zufahrt, die zu dem ersten Treppenabschnitt aus Marmorstufen am American Memorial Cemetery hinaufführte. Auf den ersten folgte noch ein weiterer, und oberhalb von diesem befand sich ein fünf oder sechs Stockwerke hoher Marmorturm mit einer schwarzen Tür. Über der Tür war ein gewaltiger Fries mit Figuren, die Stallings zunächst für Gefallene hielt, die sich bei näherem Hinsehen jedoch als nackte, stillende Frauengestalten erwiesen.
    Zur Rechten erhob sich ein riesenhaftes, klotziges Bauwerk aus weißem Marmor mit der amerikanischen Flagge an einem hohen Mast. Links stand ein entsprechendes Bauwerk mit dem entsprechenden Mast und der Flagge der Philippinen. Hinter den Gefallenendenkmälern waren Bäume und davor mehrere Hektar gut gepflegten Rasens. Aber nirgendwo waren Autos oder Besucher. Zumindest konnte Stallings keine sehen.
    Nachdem er den Preis für eine dreißigminütige Wartezeit ausgehandelt hatte, stieg Stallings aus dem Taxi und erklomm die Stufen. Beim Betreten der Gedenkstätte sah er, daß die Namen der Toten alphabetisch aufgelistet waren. Zuerst kam der militärische Rang, dann der Name, dann die Einheit und schließlich der Heimatstaat des gefallenen Helden.
    Jeder Name war in zentimeterhohen Blattgoldlettern aufgeführt. Insgesamt waren es, so behauptete eine Tafel, 36279 Namen. Hinter den Zwillings-Ehrenmalen erstreckte sich ein richtiger Friedhof, aus dem, Reihe an Reihe, weiße Kreuze und Davidsterne wuchsen, genau wie bei Meuse-Argonne, Chateau Thierry und, wie Stallings vermutete, Shiloh und Little Big Horn, obwohl er die beiden letzteren Schlachtfelder nie besucht hatte. Und er war sich nicht ganz sicher, ob es dort Davidsterne gab. Er nahm sich vor, dies nachzuschlagen.
    Der Buchstabe P befand sich fast am Ende der zugigen, nach allen Seiten offenen Gedenkstätte. Stallings schritt langsam an den Pattersons, den Penningtons, den Phillips, den Pitts, den Powells und den

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