Wu & Durant 02 - Am Rand der Welt
glaube ich, irgendwann in den Sechzigern gestorben. Vierundsechzig, fünfundsechzig – so um den Dreh.«
»Sechsundsechzig«, sagte Wu.
Stallings hob seine Bierdose zu einer Art Toast. »Also, auf Großpapa.«
Wu quittierte den Toast mit einem Lächeln und sagte: »Dann können Sie auch den Rest erfahren. Mein leiblicher Vater war ein bocksgeiler chinesischer Methodistenbischof, der sich ins Schlafzimmer meiner Mutter geschlichen oder geschleimt hat. Sie war von einem methodistischen Missionarsehepaar in China adoptiert worden, das sie mit zurück nach San Francisco genommen hat. Sie war siebzehn, als der Bischof über sie gekommen ist, und sie starb bei meiner Geburt. Meine Adoptivgroßeltern sind ein paar Jahre später bei einem Autounfall umgekommen, und ich bin im John-Wesley-Memorial Waisenhaus in San Francisco gelandet.«
»Wo er mich getroffen hat«, sagte Durant.
»Und seitdem sind Sie beide Partner, stimmt’s?«
Durant nickte.
»Muß tröstlich sein«, sagte Stallings.
Wus Augenbrauen hoben sich fragend. »Daß wir Partner sind?«
»Zu wissen, von wem man abstammt. Die meisten Leute wissen nicht mal, wer der Vater ihres Großvaters war. Ich jedenfalls weiß es nicht. Noch vor ein paar Jahren habe ich geglaubt, ich sollte vielleicht. Aber dann hab ich mich gefragt, was zum Teufel es schon ausmachen würde, und hab’s abgehakt. Aber ich glaube schon, daß es tröstlich sein kann.«
»Haben Sie Kinder?« fragte Durant.
»Zwei Töchter, aber keine Enkel.«
Wu zog eine seiner riesigen Zigarren hervor und vollzog das Ritual des Anzündens, wobei er unablässig weitersprach. »Ich hatte immer den Eindruck, daß ein verwertbares Talent viel größere emotionale Sicherheit bietet als ein lückenloser Stammbaum. Wenn die Miete fällig wird und man pleite ist, hilft es wenig, wenn man weiß, daß man um sechs Ecken mit einem Burschen verwandt ist, der die Unabhängigkeitserklärung unterzeichnet hat oder mit Pickett den Cemetery Hill geritten ist oder König Johann einen Stift geliehen hat.«
Er blickte auf und blies einen seiner dicken Rauchringe zur Decke. »Andererseits, wenn man in die Tasche greift und nichts drin klimpert und man sich aufmachen und was zusammenkratzen muß, ist es gut zu wissen, daß man ein Talent zu verkaufen hat, ob man nun Küfer ist, Pfarrer, Stellmacher, Müller oder auch Terrorismusexperte.«
Stallings zwinkerte Wu zu. »Gefällt mir, wie Sie die Überleitung hingekriegt haben.«
Wu beugte sich vor, die massigen Ellbogen auf die breiten Knie gestützt, im Gesicht ein interessierter Ausdruck. »Und wie sind Sie Terrorismusexperte geworden, Booth?«
Stallings trank von seinem Bier, dachte einen Augenblick nach und sagte dann: »Ich habe es in der Praxis gelernt, weil ich genau das gemacht habe, ungefähr von dem Zeitpunkt an, als ich neunzehn wurde, bis ich fast neunzehneinhalb war.«
»Hier?« sagte Durant. »Ich meine, hier auf den Philippinen?«
»Negros und Cebu. Hauptsächlich Cebu.« Stallings hielt inne. »Wollen Sie den Rest hören?«
»Natürlich«, sagte Wu.
Stallings trank sein Bier aus, bevor er weitersprach. »Ich war frischgebackener Second Lieutenant. Ein Nachrücker. Hundertzweiundachtzigste Infanteriedivision. Die Cebu-Invasion war auf den sechsundzwanzigsten März angesetzt.«
»Fünfundvierzig?« sagte Durant.
»Fünfundvierzig. Es gab damals eine ziemlich gute Guerilla-Einheit auf Cebu, zu der die Division Kontakt aufnehmen mußte. Also beschloß man, drei Wochen vorher eine acht Mann starke Aufklärungs- und Erkundungspatrouille zu entsenden – hauptsächlich gescheiterte Existenzen und grüne Jungs wie mich. Außer mir waren das vier Schützen, ein einfacher Sergeant, ein Funker, ein Sanitätsgefreiter und ein Verbindungsmann zu den Guerillas.«
»Alejandro Espiritu«, sagte Wu.
»Ja. Der alte Al. Also, sie haben uns unten am Strand erwischt. Japanische Infanterie. Vier von uns haben es nicht mal vom Boot runtergeschafft. Der Sergeant und drei Schützen fielen zuerst. Den vierten Schützen hat’s in dem Moment erwischt, als er den Strand betritt. Dann der Funker. Übrig geblieben sind Al, der Sani und ich. Wir sind wie der Teufel gerannt, haben die ganze Ausrüstung in der Brandung verloren und es schließlich zu dem Punkt geschafft, wo wir auf die Guerillas stoßen sollten. Aber sie waren alle tot – alle neunzehn. Wir haben ein M-1 ohne Kimme und ungefähr hundert Schuß Munition gerettet, die die Japse übersehen hatten.« Er hielt inne.
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