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Wuensch dich ins Wunder-Weihnachtsland

Wuensch dich ins Wunder-Weihnachtsland

Titel: Wuensch dich ins Wunder-Weihnachtsland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Meier
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sie Märchen, Kinder- und Kurzgeschichten. Es wurden bereits verschiedene Erzählungen von ihr in Anthologien veröffentlicht
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Susanna Montua
Es ist nie zu spät
    „Ihr habt eine Freistunde. Bitte seid ruhig, und wenn etwas ist, ich bin im Zimmer nebenan“, erklärte Frau Karlsen den Schülern der Klasse 4b.
    Lautes Gejubel brach aus, da eine Stunde ohne Aufgaben vor den Kindern lag. Sofort fanden sich kleine Grüppchen zusammen, sie spielten Karten, lasen Bücher oder malten Bilder.
    Elisabet saß konzentriert über einem Blatt Papier. Die struppeligen, schwarzen Haare hingen wie ein dichter Vorhang auf den Tisch.
    „Was ist das?“, fragte Maike und entriss Elisabet das Blatt.
    „Hey gib das her!“, rief Elisabet und sprang von ihrem Stuhl auf, aber Maike hob das Blatt über ihren Kopf und lachte fies.
    Die anderen Kinder beobachteten wortlos das Geschehen. Niemand mochte Maike, sie war bereits einmal sitzengeblieben und überragte ihre Mitschüler daher um einen Kopf. Sie war richtig dick, manchmal trug sie eine Woche die gleichen Klamotten. Die braunen, kurzen Haare glänzten immerzu fettig. In den Pausen schlug sie oft andere Kinder und klaute deren Frühstück, wenn sie sich unbeobachtet vorkam, bohrte sie in der Nase oder in den Ohren.
    „Nun lass mich mal sehen, was das ist. Ein Liebesbrief?“, kicherte Maike.
    „Gib her du blöde Kuh“, fauchte Elisabet und erntete einen Stoß in die Rippen. Sie fiel zurück auf ihren Stuhl und vergrub ihr Gesicht in ihren Händen.
    „Oh nein, das ist ein Brief an den Weihnachtsmann“, lachte Maike. Sie hielt sich mit ihren wurstigen Finger den vibrierenden Bauch.
    Die anderen Kinder schwiegen weiter.
    „Du weißt schon, dass es keinen Weihnachtsmann gibt, ja?“, fragte Maike und lehnte sich nah an Elisabet.
    Die konnte Maikes Atem riechen und hielt instinktiv die Luft an. „Doch, den gibt es sehr wohl!“, beharrte Elisabet.
    „Gar nicht, die Geschenke kommen von deinen Eltern!“, baffte Maike zurück.
    „Nein, das stimmt nicht, eines ist immer vom Weihnachtsmann, aber das verstehst du nicht, denn das kriegen nur brave Kinder!“, schrie Elisabet zurück und verschränkte ihre Arme vor der Brust.
    Maike starrte sie fassungslos an. Noch nie hatte sich jemand aus ihrer Klasse getraut, so mit ihr zu reden.
    Wütend riss sie das Blatt in Dutzende kleine Fetzen und ließ diese wie Schnee auf den Boden rieseln. Anschließend schnappte sie ihre Schultasche und verließ rasch das Schulgebäude.
    Die Schulglocke ertönte, der Unterricht war zu Ende, endlich durften sie nach Hause gehen und das Wochenende genießen. Der erste Advent stand vor der Türe.
    „Was gibt’s zu essen?“, fragte Maike und ließ sich plump auf ihren Stuhl fallen.
    „Kartoffelbrei und Bratwurst“, sagte ihre Mutter, die am Herd mit der heißen Pfanne hantierte. In der anderen Hand hielt sie eine Zigarette, deren Qualm sich mit dem Rauch aus der Pfanne vermengte.
    „Ich will das nicht, ich will Pudding!“, schmollte Maike.
    „Du isst das, was auf den Tisch kommt!“, schrie sie ihre Mutter an. Zeitgleich haute sie die Pfanne mit kleinen, schwarzen Würstchen auf den Tisch. Das Geschirr schepperte unter der Wucht und auch Maike zuckte zusammen.
    Wortlos aßen beide zu Mittag. Als sie fertig waren, ging ihre Mutter direkt hinüber ins Wohnzimmer und sank auf das Sofa, eine Kippe im Mundwinkel und zappte durch das TV–Programm. Maike hingegen räumte den Tisch ab, verstaute das Geschirr in der Spülmaschine und wusch die Pfanne ab. Anschließend fegte sie die Küche aus, säuberte die Arbeitsplatte und verzog sich dann wortlos in ihr Zimmer am Ende des Flurs.
    In ihrem Zimmer angekommen fing sie an zu weinen. Mit wenigen Handgriffen holte sie ein Foto ihres Vaters aus einem Schuhkarton. Er war Pilot und verdiente viel Geld. Oft war er tagelang nicht zu Hause, aber wenn er zurückkam, brachte er Maike viele tolle Sachen aus fremden Ländern mit. An Weihnachten vor drei Jahren hatte er auf dem Weg zur Arbeit einen Unfall und kam nie wieder nach Hause. Seitdem arbeitete Maikes Mutter nicht mehr. Sie mussten umziehen, von einem Haus in eine kleine, schäbige Wohnung. Und jedes Jahr zu Weihnachten, sank die Stimmung tiefer in den Keller.
    Maike weinte. Mit zittrigen Händen holte sie die Weihnachtsdekoration aus ihrem Schrank. Kleine Engel mit Flügel aus Federn, ein paar Kerzen, die nach Lebkuchen und Vanille dufteten. Sogar ein paar glitzernde Girlanden fand sie in einer kleinen Tüte.

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