Wuensch dir was
Ich rufe an, weil du, glaube ich, noch meine Sonnenbrille hast«, fuhr Barbara fort. »Du hast sie für mich eingesteckt, weil in meiner Handtasche kein Platz mehr war. Kannst du mal nachsehen?«
»Moment«, murmelte ich, ohne mein Spiegelbild eines Blickes zu würdigen.
Meine Handtasche stand wie immer auf dem Tischchen
im Vorraum, unter dem Spiegel, den Howard und ich vor einer Ewigkeit auf einem Flohmarkt in Paris erstanden hatten. Ich liebe diesen Spiegel. Er zierte schon früher, in unserem Haus in der Vorstadt, die Eingangshalle, und auch jetzt hängt er wieder neben der Wohnungstür.
»Hast du sie? Dann komme ich kurz vorbei«, sagte Barbara. »Bei der Gelegenheit könnten wir gleich einen Happen essen gehen.«
»Warum nicht«, erwiderte ich. »Was hältst du davon, wenn wir ins …« Während ich überlegte, wo wir uns zum Lunch treffen sollten, warf ich einen Blick in den Spiegel.
Und da sah ich mich zum ersten Mal.
»HEILIGER STROHSACK!!!« Ich kann mich nicht entsinnen, jemals so laut geschrien zu haben.
»WAS IST PASSIERT?«, stieß Barbara am anderen Ende der Leitung hervor.
Mein erster Gedanke war: Da steht jemand hinter dir. Also fuhr ich wie der Blitz herum. Nichts. Da war niemand.
»MUTTER! IST ALLES OKAY BEI DIR?«
»Gütiger HIMMEL!«
»WAS IST DENN LOS, MUTTER? SOLL ICH DIE POLIZEI RUFEN?«
Ich stand da und brachte keinen Ton heraus, während Barbaras panische Stimme aus dem Hörer drang. Ich starrte die Frau im Spiegel an. Wer war sie? Was war geschehen? Träumte ich?
»Äh, es ist alles bestens, Barbara. Ich dachte, ich hätte eine Maus gesehen«, versuchte ich meinen Ausbruch schließlich zu erklären.
»Eine Maus? In der neunzehnten Etage?«
»Ich weiß, das klingt verrückt. Ich bin heute etwas von der Rolle.«
Und die ganze Zeit über ging mir nur eines durch den Kopf: Meine Arme! Meine Arme! Meine Arme sind muskulös und knackig braun! Wo war meine schlaffe Alte-Frauen-Haut hin? Ich hatte neulich bei Neiman’s für hundertzwanzig Dollar eine neue Hautlotion gekauft, von der die Verkäuferin behauptet hatte, sie sei das reinste Facelifting aus der Flasche. Konnte das tatsächlich das Werk einer Antifaltencreme sein? Quatsch. Als würde auch nur eines dieser ganzen Wundermittel wirken. Oder etwa doch?
»Mutter, ich fahre jetzt auf der Stelle zu dir. Ich fürchte fast, du erleidest gerade einen Schlaganfall.«
Ein Schlaganfall? Vielleicht hatte Barbara ja Recht. Womöglich hatte ich bereits einen Schlaganfall gehabt und war tot oder ein Geist in einer Art Zwischenwelt, die zufällig aussah wie meine Wohnung. Nun, eines stand fest: Barbara durfte auf keinen Fall herkommen. Was sollte sie denken, wenn sie mich so sah?
»Nein, mach dir keine Sorgen, Barbara …« Ich gab mir Mühe, mit möglichst tiefer Stimme zu sprechen. Warum musste sie bloß so jugendlich hell klingen? »Übrigens, mir fällt gerade ein, dass ich bereits mit
Frida zum Lunch verabredet bin. Es wäre besser, wenn du morgen kommst.«
»Aber ich brauche meine Brille«, wandte sie ein.
»Ach, nun hab dich nicht so, Barbara«, fauchte ich. »Diese Brille ist noch nicht einmal vom Optiker. Ich wette, du hast mindestens noch fünf von der Sorte.«
»Dann willst du mich heute also nicht sehen?«, fragte sie bekümmert.
Ich betrachtete mich erneut im Spiegel.
»Nein, ich glaube, morgen wäre mir lieber.«
»Wie du willst. Ach ja, was die Party angeht: gern geschehen«, schmollte mein verzogenes fünfundfünfzigjähriges Kind, aber ich ging gar nicht darauf ein.
Wie Sie sich vorstellen können, gab es in diesem Augenblick Wichtigeres für mich als ihre Mätzchen.
»Die Party war das Beste, das mir je passiert ist«, flötete ich lächelnd. »Ich melde mich später.«
Ich kann nicht sagen, wie lange ich danach noch im Nachthemd vor dem Spiegel stand und mein Gesicht anstarrte. Eine halbe Stunde? Eine Stunde? Vielleicht auch nur zehn Minuten. Die Zeit stand still, und ich murmelte ununterbrochen vor mich hin: »Wie kann das sein? Wie ist das möglich?«
»Bin ich tot?«, fragte ich halblaut und kniff mich selbst in den Arm und ins Gesicht.
Mein Gesicht! Meine Haut war glatt und faltenfrei, selbst um die Augen. Kein einziger Krähenfuß weit und breit.
Mein Haar, das sonst dünn und spröde war von all dem Wasserstoffperoxyd, war plötzlich wieder voll und weich. Immer wieder fuhr ich mir mit den Fingern durch meine wiedergewonnene Mähne, mindestens fünfzig Mal, bis mir einfiel, dass man Haarausfall
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