Wünsche
zwei Meter groß, aber doch nur ein kleiner Selfmademan, hatte er gesagt, der dringend ein zeitgemäßes Image für seine Agentur braucht. Er hatte mit einem übermütigen Zug um den Mund den Arm um Hannes gelegt und Friedrich angeschaut.
Ich kann ihn dir auch mal für deinen Laden ausleihen, mein Lieber.
Hannes hatte ruckartig den Kopf zu Karatsch gedreht, als hätte der ihn aufgefordert, mit ihm ein altes Suppenhuhn zu rupfen oder Bauklötzchen zu polieren.
Toilette?, hatte er knapp gefragt, und sich so seinen Fluchtweg gesucht.
Die anderen Gäste waren früher gegangen als sonst. Jeder hatte beim Abschied irgendetwas Tröstliches wegen Veras Ausbleiben angemerkt. Ludwig Schrei hatte Karatsch daran erinnert, dass sie schon mal zwei Tage fortgeblieben war, vor vielen Jahren, und bei ihrer Rückkehr einfach nur geheimnisvoll dreingeschaut und ein neues Kleid getragen hatte.
Das Rehlein gab Hannes beim Abschied seine Karte. Karatsch hatte ein Zimmer im Bahnhofshotel bestellt. Der Besitzer ist ein Freund, vielleicht schauen wir später noch einmal an der Bar vorbei, meine Frau Vera und ich, hatte er strahlend zu Hannes gesagt, war aber dem Blick von Friedrich ausgewichen. Lange her, dass Friedrich einmal wie ein Hamster in Vera verliebt gewesen war. Aber der alte Film war immer noch Zeuge. Er erinnert sich.
Zwei Kinder im Gebüsch auf einer Anhöhe. Vera und Friedrich. Sie beobachten heimlich ein Liebespaar. Wie das ist zwischen einem Mann und einer Frau, wenn sie sich beißen, küssen, lieben. Sie beobachten die beiden so lange, bis sie selber den metallenen Geschmack von Blut im Mund haben. Vera nimmt Friedrichs Hand, dann gibt sie ihm einen Schubs. Das hatte so nicht im Drehbuch gestanden, aber der Regisseur ließ die Kamera weiterlaufen, denn er hatte einen sicheren Instinkt für geglückte Momente, die man nicht inszenieren, aber geschenkt bekommen kann. Dicht an dicht rollten Vera und Friedrich den Wiesenhang hinunter. Unten am Bachufer waren sie auch am Ende der Kindheit angekommen, so hatte es sich für Friedrich wenigstens angefühlt. Vera war schneller als Friedrich gerollt und lag jetzt auf ihm. Endlich Schluss mit dem schafigen Zwölfsein, sagte ihr Gesicht und war rosiger als sonst. Hübsch, hatte Friedrich damals gedacht, als er zu ihr aufschaute. Später wusste er es besser. Sie war mehr als hübsch. Sie war tapfer. Cut! Und danke, hatte der Regisseur gerufen, aber erst nachdem Friedrich aus der Szene ausgestiegen war und Hilfe suchend in die Kamera geschaut hatte. Danke! Großartig habt ihr das gemacht! Der Regisseur hatte einen Grashalm aus Veras Haar gezogen. Nach Drehschluss hatten Vera und Friedrich voreinander gestanden, verlegen, dann boxten und schubsten sie sich, wie sonst, wie immer beim Abschied. Doch ihre Bewegungen waren langsamer. Langsam war zärtlicher als schnell, hatte Friedrich damals begriffen.
Geh schlafen, Fetzer, hatte Vera gesagt.
Bevor er bei der Wendeschleife in den letzten Bus für heute steigt, dreht Friedrich sich zu Karatschs Flachbungalow um. Karatsch winkt. Friedrich hebt ebenfalls die Hand. Früher einmal hat Karatsch mit Suse da gestanden, hat sich an sie gelehnt und den Gästen nachgeschaut. Später hat er mit Vera da gestanden, ohne sich anzulehnen. Suse ist von einer matronenhaften Mädchenhaftigkeit gewesen, die sie sich bis zu ihrem Tod bewahrt hat. Karatsch hatte sie wegen der Augen geheiratet. Wie bei einer Stute, sagte er immer, wie bei einer Stute. Suse hatte an Silvester immer eine Tasse Tee in der Hand gehabt, wenn sie mit Karatsch beim Gartentor stand. Karatschs und ihre Schultern berührten sich. Auch an ihrem letzten Silvester vor wohl zwanzig Jahren hatte Suse beim Abschied den Teebeutel in ihre Tasse getunkt, aber so, als wolle sie ihn ertränken. Suse war eindrücklicher als Vera, wog in jeder Beziehung mehr. Aber Vera ist eben Vera. Karatsch hat Vera manchmal kurz an sich gedrückt, während sie den Gästen nachschauten. Für einen Beobachter wie Friedrich ist es all die Jahre unentschieden geblieben, ob Karatschs Verlangen, Vera zu berühren, einfach ein Verlangen war oder nur das Verlangen zu demonstrieren, dass er sie berühren konnte, wann immer er wollte. Wie lange eigentlich haben wir drei vom heutigen Tag an noch zu leben? Vera, Karatsch und ich, fragt Friedrich sich, während der Bus mit ihm und Hannes als einzigen Fahrgästen in die Stadt hinunterfährt. Mit den Tagen vergehen die Wochen, die Jahre. Wir. Aber was ist daran schlimm? Das
Weitere Kostenlose Bücher