Wünsche
als sie will, Sie wollen Ihre Gefühle auf jeden Fall für sich behalten.
Woran sehen Sie das?
An der Art, wie Sie die Hände in die Taschen stecken, sagt sie, und hat ihn endlich so weit, dass er sie fragt, nicht mehr nur sie ihn. Er lächelt sogar.
Und Sie sind wohl eine ganz Schlaue?
Und Sie so?, spielt sie den Ball zurück.
Ich bin Gast hier.
Ich nicht, sagt Meret. Langsam zieht sie ihr kurzes Jackett aus. Darunter trägt sie eine ärmellose, weiße Bluse. Sein Blick wandert zur Impfnarbe am Oberarm. Daran kann er abschätzen, wie alt sie ungefähr sein mag. Drei Leberflecke an gleicher Stelle, wie sie sie heute Mittag bei ihrer ehemaligen Chefin gesehen hat, wären ihr jetzt lieber als dieser Poststempel im Fleisch.
Ich habe nur ein Geschenk hierhergebracht, es liegt oben auf einem Zimmer und wartet darauf, dass es ausgepackt wird, sagt sie.
Hinter den Flaschen im Regal sieht sie ihr Gesicht in einem braun gefärbten Spiegel. Friedrich ist hübscher als sie, stellt sie einmal mehr in ihrem Leben fest. Er hat sehr helle Haut und immer noch dunkles, gelocktes Haar, und aus irgendeinem Grund schimmern bei ihm Haut und Haar zärtlicher als bei ihr. Die Männer sind bei den Wünsches immer schon hübscher geraten als die Frauen.
Für wen ist denn das Geschenk?
Der Mann hat also noch etwas gefragt, hat einen Gesprächsfaden von den vielen, die sie für ihn gesponnen hat, zurückgeworfen. Daran kann sie sich endlich über die zwei Barhocker Abstand hinweg zu ihm hinüberhangeln. Für Friedrich, meinen Bruder, ist das Geschenk, erklärt sie dabei, denn heute ist Silvester, und das ist der schwierigste Tag im Jahr für ihn.
Warum erzählen Sie mir das eigentlich alles, unterbricht sie der Mann.
Um Sie zu beeindrucken.
Machen Sie das immer so?
Ist nicht immer nötig, wird aber immer nötiger, sagt Meret und legt ihren Unterarm neben seinen.
Am Mittag ist sie schwarzgefahren, denn vor dem Fahrkartenautomat hat dieser Penner gelegen mit seinem selbst gemachten Schild AUSSER BETRIEB , übersetzt: Lass mich in Ruh. Aus Angst, er könnte nach ihr greifen, so wie in Schauergeschichten Tote aus ihren Gräbern nach den Lebenden greifen, hat sie gar nicht erst versucht, ein Ticket für den Regionalzug zu ziehen. Später, und übermütig geworden, hat sie auch keins für die Schwebebahn gelöst. Früher haben Vera und sie das genauso gemacht, hat sie gedacht, als die Bahn hoch über dem schmalen Fluss an den Hinterhöfen grauer Häuser und an Fabrikfenstern vorbeiquietschte, hinter denen die Maschinen längst verstummt sind. Die Gegend hatte sich seit der Kindheit kaum verändert. Wie sie selber auch. Meret hat immer gewusst, was sie will. Jetzt auch. Sie will eine Frau, die sich auf einem großen weißen Bett zusammenrollen kann wie eine kleine Katze, wenn man ihren Nacken streichelt, eine mit einem professionellen, aber auch zärtlichen Zug um den Mund, am besten gekleidet in ein tief ausgeschnittenes Abendkleid aus blauem Tuch, das bei künstlichem Licht schwarz wirkt. Von Farben, Stoffen und Schnitten versteht Meret etwas. Von Frauen auch. Sie ist eine geborene Wünsche.
Schön, dich zu sehen, Süße. Gehen wir in den Wintergarten, sagte ihre ehemalige Chefin, als sie die Tür zum Club öffnete. Wer wohnt hier?, haben neue Kunden oft gefragt. Eine Diele mit dunkel glänzendem Fischgrätparkett, ein dicker, weißer Berber in der Mitte, ein großer Spiegel über einer Biedermeierkommode, in dem sich das ganze Jahr über üppige Blumensträuße verdoppeln. Einen Puff stellt man sich anders vor. Meret schaute aus dem Fenster des Wintergartens auf den grauen Fluss, über den alle paar Minuten die Schwebebahn fuhr. Abends und an Sonn- und Feiertagen sind die Abstände zwischen den Bahnen größer. Wie hat sie das Quietschen der Bahn geliebt, wenn in ihrem schmalen Zimmer mit den gelben Vorhängen jemand auf oder unter ihr stöhnte. Die halbe Stunde Stöhnen ging vorbei, das Quietschen der Bahn blieb. Das hatte etwas Tröstliches. Sie hat nur wenige Monate hier gearbeitet, in der Zeit nach der Schneiderlehre, als sie nicht wusste, was genau sie im Leben weiter anfangen sollte, und nicht zurück in die Stadt zu Mutter Martha, aber auch nicht all zu weit wegwollte.
Du weißt, Süße, wir sind ein Vier-Sterne-Unternehmen, und heute ist Silvester, das könnte also trotz Ehemaligenrabatt teuer werden, sagte ihre ehemalige Chefin und hatte noch immer deutlich Akzent und Augenaufschlag aus dem Osten. Sie kam aus Paralovka
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