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Wünsche

Wünsche

Titel: Wünsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Kuckart
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gut?
    Wieso? Ich geh gleich wieder.
    Wohin?
    Zurück. Nach Hause.
    Hey, warte, warte mal.
    Was denn?
    Geschenk, sagt Meret, komm mal mit rauf.
    29.
    Als Vera das Hotel City View verlässt, ist es halb elf. Am Waschbecken ihres Zimmers hat sie vergeblich Seife gesucht und dann das Zitronenduschgel von Salomé Schreiner benutzt, die Cold Creme von Salomé Schreiner aufgetragen und deren Lippenstift. Eine panikfreie Leere war danach auf ihrem Gesicht, das sie aus dem Spiegel anschaute. Ich, hat sie gedacht, ICH ist eine plausible Fälschung. Ich werde mich ab heute vollsaugen mit der Luft dieser Großstadt hier, mit dem Geruch eines breiten Flusses, der auf seinem Weg zum Meer ist. Und ebenfalls ab heute gilt: Es werden keine alten Filme mehr angeschaut, sondern ein neuer wird gedreht. Regie, Kamera, Hauptdarstellerin: ICH . Location: London. Verwendbares Material: das Gefühl des Augenblicks.
    Sie gibt den Zimmerschlüssel mit dem schweren Anhänger an der Rezeption ab. Der Mann hinter dem Tresen ist schwarz, aber schiebt keinen Wischer vor sich her wie ihr Schutzengel aus dem Hallenbad am Morgen. Ob es später noch etwas zu trinken gebe, fragt sie. Nein, sagt er, aber nebenan der kleine Supermarkt hat die ganze Nacht geöffnet. Dann bückt er sich hinter der Rezeption. Sie kann seinen Rücken in dem weißen, gebügelten Hemd wie einen Hügel zusammengekehrten Schnees über die Holzplatte ragen sehen. Lange bleibt er so. Wäre die Situation eine andere, dann könnte jetzt Schnee auf Schnee fallen. Als er wieder auftaucht, hat er zwei Gläser und eine Flasche Whisky in den Händen. So ist das oft gewesen. Im Allgemeinen gefällt sie den Männern sehr. Bisher.
    Ach, lieber später, sagt sie, so wie man Ach Glück sagt, und verlässt mit den Händen tief in den Jackentaschen der anderen das Hotel, um etwas unsicher die Straße zu überqueren.
    Die Autos fahren auf der falschen Seite, das hatte sie fast vergessen. Sie läuft an einem schmiedeeisernen Zaun gegenüber dem Hotel vorbei. Museum of Childhood sagt das Transparent über dem Eingang. Innen sind die Ausstellungsräume sicher vollgestopft mit Kitsch, mit gesammelter Sehnsucht, mit lindgrünen, zitronengelben und erdbeerrosa Dingen, welche mit der Stimme der Erinnerung erwachsenen Menschen einreden, sie hätten eine glückliche Kindheit gehabt. Sie wird Jo benachrichtigen müssen, dass es ihr gut geht und alles in Ordnung ist. Oder Karatsch? Aber dessen Handynummer weiß sie nicht auswendig.
    Vera geht weiter die Straße hinauf. Cambridge Heath steht an der nächsten Kreuzung. Sie überquert noch einmal die Fahrbahn und hat sich bereits an den Verkehr gewöhnt. Rote Doppeldeckerbusse kommen ihr entgegen, kreischende Mädchen steigen in Rudeln aus, die Kleider schwarz und dünn, die Beine bloß und teigig, die Schuhe offen, und an den Fersen sind sichtbar Schrunden in der rissigen Hornhaut. Das große Feuerwerk findet beim Riesenrad an der Themse statt, sagt ein Mann dicht neben Vera, aber sie ist nicht gemeint. Trotzdem geht sie hinter ihm her wie vorhin hinter jenem anderen, der sie ahnungslos und ohne Absprache vom Flughafen nach Whitechapel geführt hat. Dieser Mann jetzt hat eine sehr kleine alte Frau am Arm. Sicher seine Mutter. Plötzlich ist Vera froh, dass sie sich überredet hat, vom Bett mit dem beunruhigenden Blumenmusterüberwurf noch einmal aufzustehen, um jetzt im Schlepptau von zwei tröstlichen Fremden auf eine hässliche Kirche zuzugehen, während der Autoverkehr schmutziges Regenwasser bis zu ihnen auf den Bürgersteig spritzt. So zu dritt werden sie in diesem Regen kurz vor dem Jahreswechsel zu einem flüchtigen Wir.
    30.
    Das Lächeln der Frau auf dem Bett ist noch nicht ganz fertig, als Friedrich sich von Meret ins Zimmer Nummer 7 schieben lässt. In einer weißen Bluse sitzt sie auf der Bettkante und hat die Hände unter die Oberschenkel gesteckt. Meret ist hinter ihm stehen geblieben und hat die Finger als Kralle zwischen seinen Schulterblättern eingegraben. Er spürt ihren Blick im Nacken, den Blick eines Regisseurs, der eine Szene prüft, die er selbst gestellt hat.
    Warum er jetzt an Vera denken muss?
    Ich hab schon bezahlt, sagt Meret, ich warte unten auf dich. Und du, die du da Sara heißt, wendet sie sich an die Frau auf dem Bett, magst du jetzt Merets Silvestergabe auspacken?
    Sara zieht ihre Hände unter den Schenkeln hervor und fängt an, die weiße Bluse aufzuknöpfen. Es regnet, hört Friedrich, draußen regnet es. Irgendwo

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