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Wünsche

Wünsche

Titel: Wünsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Kuckart
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pladdern die Tropfen auf Wellblech oder ein anderes Metall. Der Teppich im Zimmer ist von einem abgetretenen Rot. Er schaut die Frau an, die Bluse, die Brüste, den Bauch.
    Eigentlich ist Friedrich immer ein leidenschaftlicher Verfechter des Auspackens gewesen.
    Hast du alles, was du brauchst?, fragt Meret in seinem Rücken.
    Ja, alles, was ich brauche, denkt er, nur nicht jetzt.
    Meret verlässt das Zimmer und zieht leise die Tür hinter sich zu, so leise wie die zu einem Kinderzimmer. Die Frau auf der Bettkante öffnet das Haar.
    Ich heiße Sara.
    Wie wichtig ist doch dieser Moment, in dem man das, was man sich wünscht, auch endlich sieht, sagt Friedrich sich, aber das hier hat er sich nicht gewünscht, auch wenn diese Sara schön ist. Schön wie eine Erzählung aus Fleisch. Draußen fliegen immer mehr Feuerwerkskörper in die Luft, und der Regen schlägt heftiger gegen das Fenster des Hotelzimmers. Er schaut auf seine Uhr, auch wenn das jetzt unhöflich aussehen mag. Kurz vor Mitternacht. Gleich werden die Glocken der evangelischen Kirche aus der Einsamkeit ihrer zwei dunklen Türme heraus zwölf zu schlagen beginnen und das neue Jahr einläuten. Mein Gott, selbst die Nase dieser Sara ist schön. Das hat er auf den ersten Blick gesehen. Ein Stück Vollkommenheit! Keine fünf Zentimeter lang. Besser kann er es nicht sagen. Denn Wörter sind nicht dafür gemacht, einzelne Nasen zu beschreiben. Also muss er auch nicht länger an der Tür dieses Hotelzimmers stehen bleiben und darauf warten, dass ihm ein passendes einfällt, oder? Außerdem will er nicht irgendeine gemietete Frau geschenkt bekommen, selbst wenn alles an ihr so schön sein sollte wie ihre Nase.
    Nein, sagt er laut, tut mir leid. Und mit Ihnen hat das nichts zu tun, nehmen Sie es bitte nicht persönlich.
    Auf der Straße draußen hat die flächendeckende Silvesterbombardierung begonnen.
    Komm!
    Nein.
    Er hat wirklich keine Lust auszuprobieren, wie diese Sara da drüben sich von innen anfühlt.
    Am Ende des Studiums in Koblenz hatte er während eines Italienurlaubs Annalisa aus Salerno kennengelernt. Er wollte promovierter Betriebswirt werden, sie Pianistin. Eine Doktorarbeit hatte er bereits angefangen. Thema: Guerilla-Marketing für KMU , in der er punktuelle Spontanaktionen kleiner und mittelständischer Unternehmen untersuchte, die sich keine Fernseh- oder ähnliche Werbung leisten konnten.
    Annalisas Eltern führten eine kleine Pension. Damals war er dreiundzwanzig. Er hatte bereits viele Filme und viele mit erotischem Inhalt gesehen, aber nur zweimal mit zwei verschiedenen Mädchen im Bett gelegen. Den Anforderungen der weiblichen Natur gegenüber hatte er sich beim ersten Mal hilflos und beim zweiten Mal wütend gefühlt. Annalisa konnte drei Sprachen und sie konnte zaubern. In ihrer ersten Nacht in ihrem Zimmer im Studentenheim, das beim Öffnen des Einbauschranks den Geruch nach evangelischem Kirchengemeindesaal verströmte, hatte ihr Gesicht wie ein blanker Apfel auf dem Frotteebezug des Kopfkissens gelegen. Als am Morgen der Wecker ging, hatten sie höchstens eine Stunde geschlafen. Friedrich stellte Annalisa zu Hause vor. Es war Abneigung auf den ersten Blick zwischen Mutter Martha und Annalisa.
    Diese Italienerin kommt mir nicht ins Haus.
    Warum nicht?
    Darum nicht.
    Komm, sagt Sara wieder und ist bis auf einen winzigen, kirschroten Slip nackt. Dieses Komm, es klingt nicht verführerisch, nicht lügnerisch, sondern echt. Sie streicht in der Luft etwas aus, als wolle sie eine Fliege verjagen, bevor sie sich hinlegt. Im Liegen sehen ihre Brüste genauso spitz aus wie im Sitzen. Sie zieht die Beine an.
    Komm, du bist aufgeregt. Sara lacht leise und so, dass der warme Atem aus ihren Nasenlöchern in seinen Nacken zu kriechen scheint, beim Haaransatz nach unten abbiegt, am Rückgrat entlanggleitet bis zum letzten, runden Knochenvorsprung, um dort in seinem Körper zu verschwinden. Dumpf macht es aus der Ferne Gong . Es schlägt zwölf. Unten auf dem Gehsteig jagt ein Feuerwerkskörper fauchend den nächsten. Nein, sagt er wieder und schlägt mit dem dritten Schlag der Kirchenglocken die Zimmertür hinter sich zu. Einen Moment lang sieht er den dunklen Flur entlang. Auch hier ist der Teppich abgetreten und ordinär rot, wie in einem Stundenhotel. Ohne Licht zu machen, tastet er sich an einer Strukturtapete entlang zur Treppe. Kurz greift seine Hand ins Leere, weil die Tür zum Etagenbad offen steht. Schlag zwölf tritt er auf die Straße.

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