Wünsche
hinter der Ausfahrt zu Haus Wünsche riss ihm der Keilriemen. Verschwitzt, verschmiert und zu spät war er in Köln angekommen, nachdem er die Panne selber behoben hatte.
Reich? Warum nicht, Friedrich hatte mit den Schultern gezuckt. Reich wird man nicht von dem Geld, das man verdient, sondern von dem Geld, das man nicht ausgibt, sagte der alte Mann mit den wasserblauen Augen und stellte ihn ein. Drei Monate lang kehrte Friedrich Filialen, riss Discountware aus Kartons, regulierte das Storno an den Kassen. Er drehte Markisen je nach Wetter raus und rein und wurde langsam ungeduldig. Ich kann noch mehr, teilte er eines Tages der Geschäftsleitung schriftlich mit. Daraufhin schwang er weitere sechs Monate den Besen, in sieben verschiedenen Filialen, bis der Mann mit den wasserblauen Augen entschied, die Probezeit sei vorbei. Er bot ihm an, die Discountkette Richtung Osten zu erweitern. Friedrich zog in die Lausitz, mit Annalisa. Sie heirateten. Meret entwarf und nähte das Hochzeitskleid. Mutter Martha schickte einen Briefumschlag mit zwei Geldscheinen. Friedrich wurde aber auch ohne dieses Geschenk ziemlich schnell reich. Sie zogen in ein Haus bei Halle, waren noch keine dreißig, reisten viel, aber spielten kein Golf. Die Skiunterwäsche kaufte Annalisa bei Tchibo, Geschirr, Mikrowelle und das erste Babybett auch. Als der Mann mit den wasserblauen Augen sich aus dem Familienkonzern zurückzog, sahen Friedrich und der neue Juniorchef einander an und mochten sich nicht. Friedrich wechselte als Manager nach Österreich. Er war noch keine vierzig und das neue Unternehmen kein familiengeführtes mehr, sondern börsennotiert. Alle drei Monate wollten die Aktionäre Erfolgsberichte hören. Erfinden, lernte Friedrich, war nicht lügen. Annalisa verließ ihn kurz nach seinem vierzigsten Geburtstag. Die Kinder nahm sie mit. Im Haus bei Senftenberg sanken die Heizkosten. Friedrichs Bankkonto wurde immer dicker, das Gepäck unter seinen Augen auch. Nachts träumte er von ältlichen Aktionären und jungen Analysten, die hinter einem Sarg hergingen. Alle im Trauerzug hatten die Gesichter von Füchsen. Er selber auch, obwohl er im Sarg lag.
Friedrich setzt sich endlich neben Reimann und spürt eine fremde Körperwärme. Das letzte Mal, als er neben Reimann in dessen Zimmer gesessen hatte, hatte es nach Erbsensuppe gerochen, und sie hatten Nüsse geknackt.
Dein Warenhaus, sagt Reimann, muss schon ein echter Event werden, wenn du dich hier in der Stadt halten willst. Die Zeiten haben sich geändert. Als dein Vater vor vierzig Jahren starb, war alles in Ordnung, so wie es war. Als deine Mutter vor sechs Wochen starb, war das schon längst vorbei. Es dauerte nur noch. Weißt du, warum?
Sag’s mir, sagt Friedrich und weiß bereits, Reimann hat recht. Hinter jeder Idee, die Friedrich zu Haus Wünsche hat, lauert auch eine berufliche Sorge.
Euer Haus war lange das erste am Platz, sagt Reimann. Jetzt hat es eine kritische Größe. Es ist zu klein.
Er bietet Friedrich einen Kaugummi an. Vielleicht aber, fügt er leise hinzu, ist alles nur eine Frage der richtigen Einstellung und der richtigen Inszenierung. Er lacht. Wird schon klappen, schließlich heißt du Wünsche. Das hilft. Und weißt du noch, wie wir früher einmal Maikäfer gesammelt, Frösche gequält und Autoquartett gespielt haben?
Friedrich steht auf. Reimann wird dieses Silvester wie viele davor und viele danach vergessen. Er nicht. Gutes Neues auch für dich, Reimann, sagt er und merkt, er ist gerührt. Dito, für dich auch, nickt Reimann, und Friedrich hört genau die Lücke, die er für das Wort lässt, das früher sein Spitzname war.
Fetzer.
33.
Sara hat sich in ihrer weißen Bluse zu Hannes, Schmidtke und Meret gesetzt. Und was ist mit Friedrich?, hat Meret gefragt, als sie allein aus dem Zimmer heruntergekommen ist. Sara hat mit den Schultern gezuckt. Ein Mann wie ein Reh, hat sie gesagt, und so mädchenhaft scheu. Meret hat wie ein Pferd geschnaubt.
Ich glaub’s ja nicht!
Eine Viertelstunde nach Mitternacht stößt Karatsch an der Bar hinzu. Sara schließt bei seinem Anblick nachdenklich den obersten Knopf ihrer weißen Bluse, und Karatsch lädt alle zum Champagner ein, denn er will in Ruhe erzählen, wofür er keine Worte findet. Vera, wiederholt er immer wieder, das darf doch nicht wahr sein, das mit Vera, oder? Ich heiße übrigens Sara, flüstert Sara irgendwann in den Nebel um den Namen Vera hinein, und in Karatschs Blick flackert Interesse auf. Kurz
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