Wünsche
rutscht auf ihrem Barhocker weit nach vorn. Ihre Knie sind spitz unter den wollenen Hosen, spitze Mädchenknie. In dem Moment fliegt wahrscheinlich ganz hinten in Karatschs Kopf, wo der Silvesteralkohol schon graue Margarine aus seinem Hirn gemacht hat, ein Haufen zusammengerechtes Laub auf. Doch mag er sich nicht erinnern, seit wann das Zeug dort gelegen und vor sich hin gestunken haben mag. Um sich auf andere Gedanken zu bringen, legt er einen Arm um Saras Schulter. Er gibt sich naiv und zuversichtlich und klopft mit einer Fingerspitze an ihrem linken Nasenflügel an.
Wissen Sie, dass Sie ein vollkommen schönes Profil haben?
Sara hält still und scheint nicht zu wissen, ob sie ihm glauben oder was sie überhaupt tun soll oder will. Was er will, weiß Karatsch auch nicht. Deshalb hält er sie noch fester. Er hat seit einigen verfluchten Stunden diesen Arm frei, unter dessen Achsel eine Frau wie Vera, oder genauer, eine Frau von Veras Größe passt, und diese Sara hier scheint seit einer Ewigkeit so einen Arm zu brauchen.
Schmidtke legt eine CD mit Barmusik ein und dimmt das Licht. Aber nicht Karatsch und Sara fangen an zu tanzen, sondern Hannes und Meret, und für eine Weile starren die, die am Tresen sitzen geblieben sind, den Mann und die Frau auf jener winzigen, runden Tanzfläche aus dunklem Parkett an. Bis eben haben die beiden sich noch nicht gekannt, und Schritt für Schritt, Ton auf Ton und mit zwei oder drei Hüftbewegungen pro Takt drohen sie ein Paar zu werden, weil oder solange die Musik es will.
Sara seufzt.
Worüber habt ihr euch denn so angeregt und so lange unterhalten?, will Karatsch wissen, als die beiden zum Tresen zurückkommen.
Wieso, hast du mich etwa schon vermisst, Schatz?, antwortet Meret spitz.
Mittlerweile ist es fast drei, und Jo zieht mit seinen beiden Kumpels nach einem letzten Tequila, den Karatsch spendiert, weiter. Auch Hannes will plötzlich auf sein Zimmer. Schade, seufzt Karatsch, wir haben noch gar nicht richtig miteinander reden können, aber wie auch, mit all diesen Kindern und Weibern zwischen uns. Er gibt Sara, die noch immer neben ihm sitzt, einen Klaps auf den Hinterkopf. Sara gibt den Klaps an Meret weiter. Beide Frauen lachen zu laut, und Karatsch drückt Sara an sich, als sei er stolz auf sie. Meret hält Hannes die Wange hin, damit er sie zum Abschied küsst, bevor er geht. Mit einem plötzlichen Ruck nach links lässt sie seine Lippen auf ihren Mund rutschen.
Tschuldigung!
Ich geh dann mal.
Aber Hannes bleibt sitzen. Meret legt die Hand auf seine. Ich kann mich doch oben auf dem Zimmer neben dich legen und einen Kriminalroman lesen, schlägt sie vor.
Mädchen, Mädchen, seufzt Karatsch.
Und irgendwann könnte ich auch aufhören zu lesen, sagt Meret.
Heute nicht mehr, sagt Hannes und steht jetzt doch auf, um zu gehen.
Schlafen Sie gut und kurz, und träumen Sie, soweit Sie können, ruft Meret ihm nach, als er in der Tür verschwindet, auf der in Gold ZU DEN ZIMMERN steht.
Schmidtke bestellt auf Saras Wunsch ein Taxi, und Karatsch begleitet sie auf die Straße hinaus. Meret läuft hinterher. Es regnet wieder, wie eben noch, wie immer. Einen Moment zögert Karatsch, als das Taxi hält, dann lässt er sich neben Sara auf den Rücksitz fallen. Sara nennt eine Adresse, aber sie wird ihn sicher nicht mit hoch in ihre Wohnung nehmen. Sehr blond und sehr sachlich wird sie ihn spätestens an der Haustür abhängen, da ist er sicher. Doch wenn er mit ihr ein Stück weit fährt, wird die Zeit kürzer, die er für den Rest der Nacht allein sein muss. Danach wird er sich im Souterrain seines Bungalows am Computer Dinge anschauen, die nur ihn etwas angehen. Als der Wagen anfährt, reißt Meret im letzten Moment die Beifahrertür auf.
Ich will mit! Ich liege ja praktisch wie immer und buchstäblich auf dem Weg!
Das Taxi fährt schnell die Bahnhofstraße hinauf und an einem hell erleuchteten Möbelhaus vorbei. Es hält beim Zebrastreifen vor der Post, obwohl weit und breit niemand zu sehen ist. Philatelie Reimann, liest Sara laut den Schriftzug über einem dunklen Schaufenster.
Was heißt Philatelie?
Stimmt, klingt irgendwie unanständig, sagt Meret, ohne sich umzudrehen.
Musst du nicht hier raus?, fragt Karatsch.
Ach, ich fahr noch ein Stück mit, ich liebe es, herumzufahren, sagt sie.
Sie kommen durch immer gesichtslosere Straßen in den Westteil der Stadt. Plastikfenster, Riffelglastüren, angeklebte Natursteinimitate auf den Fassaden und Satellitenschüsseln,
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