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Wünsche

Wünsche

Titel: Wünsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Kuckart
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Kappe auf den vielen schwarzen Haaren strahlte sie an. Sie schüttelte die Münzen in der Faust, und sie klimperten hell. Er lächelte breiter. Nein, langweilig war sie nicht. War sie noch nie gewesen. Schließlich war sie einmal Merets beste Freundin gewesen, und die hätte sich nie mit langweiligen Personen abgegeben.
    Ein Scone und einen Kaffee, bitte, sagte sie und nahm sich vor, einiges in ihrem Leben ab jetzt einfach zu vergessen.
    Eine Woche später war sie gänzlich pleite.
    3.
    Jaja, sagte Reverend Jonathan und bot ihr den Platz auf der anderen Seite seines Schreibtischs an, wenn man noch keine dreißig und völlig abgebrannt ist und nachts in einer fremden Stadt landet, wenn es dann regnet, und man will auf keinen Fall im Eingang einer Bank oder auf dem Luftschacht der Metro schlafen, dann klingelt man einfach neben der Kirche beim Pfarrer. Man darf vielleicht eine Nacht bleiben, bekommt morgens Toast und Tee und ein Lunchpakt mit auf den Weg. Im Nachhinein verklärt sich diese vorübergehende Not zum Abenteuer und wird eine gute Geschichte, die für Freunde und später für die Enkel das eigene Jungsein noch einmal heraufbeschwört. Wenn man aber mit Mitte vierzig in die gleiche Situation gerät, sieht keiner mehr unter der angeschmuddelten Kleidung eine glatte Haut schimmern. Dann steht nur noch das ungewaschene Alter draußen vor der Tür. Das eines Fremden, und als Drohung auch das eigene.
    Es war Sonntag, der letzte Tag im Januar.
    Ich bin völlig abgebrannt, hatte Vera dem Reverend gleich gestanden, als er ihr die Bürotür öffnete, obwohl sie außerhalb der Sprechzeit geklingelt hatte. Auf dem Schreibtisch vor ihm lag der Entwurf zu einem Flyer. Neorealismus . Alte Filme: Schlaglichter auf heute? Jetzt verschränkte er die Hände hinter dem Kopf und rollte auf seinem Stuhl einige Zentimeter von der Schreibtischkante zurück.
    Ich habe auch einmal in so einem Film mitgespielt, Vera zeigte auf den Flyer und lächelte, naiv, anschmiegsam, und versuchte, ein wenig so erotisch verheult auszusehen wie Romy Schneider. Sie sagte: Damals war ich zwölf. Der Film ist nur kurz in den Kinos gelaufen. Später wurde er im Fernsehen wiederholt. Er spielt im Sommer 1944. Alle Männer in der Geschichte sind Kommunisten, sind an der Front oder als Politische verhaftet. Ich habe eines der Arbeiterkinder gespielt.
    Klingt wie später Neorealismus, sagte der Reverend.
    Wie was?
    Dazu machen wir eine Reihe im Herbst.
    Über alte Filme.
    Ja, die ein Schlaglicht auf unser heutiges Leben werfen. Steht doch da. Der Reverend zeigte mit dem Kinn auf den Schreibtisch. Haben Sie von Ihrem eine Kopie?
    Nein, aber ich war sehr glücklich während der Dreharbeiten.
    Wann war das?
    1977.
    Dann sind wir ja gleich alt.
    Der Reverend stand auf. Was wollen Sie eigentlich genau, Salomé? Einen sonntäglichen Rat, eine Tasse Tee, meine Zeit in Anspruch nehmen, einen wärmeren Pullover aus der Kleiderkammer oder nur einen Whisky, weil es draußen gerade dunkel wird? Oder wollen Sie erzählen?
    Zerstreut stand er vor ihr. Wie groß er war. Er konnte bestimmt noch viel mehr als nur die Salatschüssel vom obersten Küchenregal holen.
    Ich will beichten, sagte sie.
    Ich bin Reverend Jonathan, hatte er sich an Silvester vorgestellt und die mitternächtliche Runde für Vera geöffnet. Sein Pullover schaute unter der Lederjacke hervor. Er musste Mitte vierzig sein. Sein Schädel war kahl wie der von Karatsch, und er sah gar nicht wie ein Priester aus, als er gleich neben dem Taufbecken seine leere Bierdose in der Hand gedreht und Vera gemustert hatte, mit einem Blick, der ebenfalls nicht in eine Kirche passte. Der provisorische Getränketisch stand in seinem Rücken, und dahinter brannte ein riesiger siebenarmiger Leuchter, obwohl die Kirche anglikanisch war. Um den Reverend standen Frauen mittleren Alters und auch jener Mann mit seiner kleinen alten Mutter, in dessen Schlepptau Vera auf die Party hier geraten war. Während der Reverend weiter freundlich mit ihr und anderen sprach, hatte sie vorsichtig die kalten Füße eines angegrauten Gipsheiligen angefasst, dem es im Moment auch nicht besonders gut zu gehen schien. Er hockte angeschraubt auf einem freistehenden Heizkörper. Sie hatte Sehnsucht bekommen nach der braunen Kamelhaardecke in Karatschs Büro, während der Gipsheilige sie mit weißen Augen ohne Pupillen anstarrte. An den Längsseiten des Kirchenschiffs hing ein Kreuzweg, den nicht ein normal Untalentierter, sondern ein Perverser

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