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Wünsche

Wünsche

Titel: Wünsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Kuckart
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gemalt haben musste, vermutlich in Öl und Suppe. Auf einer der letzten Stationen in Altarnähe nagelte ein Folterknecht den verurteilten Jesus ans Kreuz, als sei es ein Akt von Männerliebe. Im Hintergrund der Szene ging die Sonne unter oder der Mond auf, genau ließ sich das nicht sagen.
    Genau, sagte Reverend Jonathan in dem Moment zu einer schwarzen Frau mit weißem Brillengestell neben Vera, ganz genau, wenn man aus Whapping kommt, muss man sich wehren. Er und die Frau lachten, aber so, als würden sie frieren. Alle tranken Glühwein. Nur der Reverend holte sich eine weitere Dose Bier am Tresen, wo ein Mann mit tätowierten Unterarmen Chips auf Plastikschälchen verteilte. Vorsichtig verließ Vera die Runde der Frauen.
    Sind Sie fremd hier?, rief der Reverend vom Tresen aus hinter ihr her und holte sie kurz vor dem Kirchenausgang von St John on Bethnal Green ein.
    Wie war noch mal der Name? Er hielt sie am Ellenbogen fest.
    Während sie noch stotterte und sich wand, hatte Vera eingesehen, wie dringend sie von der Kirchenparty verschwinden sollte, wenn sie es nicht schaffte, ihren neuen Namen auszusprechen. Gleichzeitig sah sie, dass die schwarze Frau mit dem weißen Brillengestell einen staubigen Ghettoblaster zu den Füßen der Heizung mit Gipsheiligem darauf aufstellte und Play drückte. Ein Sänger jaulte, eine Gitarre weinte. Last chance for a slow dance, sagte Reverend Jonathan, drehte sich um und forderte die andere, die ihren Kopf wie die Königin von Saba auf einem sehr langen Hals trug, zum Tanzen auf. Draußen fuhr die Polizei mit dem durchdringenden Geheul eines britischen Blaulichts vorbei. Mitternacht musste bereits gewesen sein. Vera war ohne Mettbrötchen und ohne den alten Film zu sehen ein Jahr älter geworden. Das große Silvesterfeuerwerk weit weg von hier an der Themse hatte ohne sie stattgefunden, so wie das kleine vor Karatschs Flachbungalow ebenfalls. Reverend Jonathan und die schöne Schwarze tanzten ohne sie Tango zu Sting auf dem kalten Steinfußboden der Kirche. Karatsch tanzte auch gern Tango, auch ohne Vera. Ob er sie jetzt vermisste oder schon betrunken war? Und Jo? Er würde bald zur See fahren. Jede Sekunde, die man nicht zusammen gewesen ist, wird man für immer nicht zusammen gewesen sein. Der Gedanke biss ihr mit seiner ganzen Schärfe in die Augen. Sie musste hier raus, bevor sie zu weinen anfing.
    Hallo, hallo, stopp-stopp.
    Dieser Reverend Jonathan hatte sie noch einmal auf der untersten Treppenstufe eingeholt. Wahrscheinlich hielt er sie für ein verlorenes Schaf.
    Wie war noch mal Ihr Vorname?
    Salomé, sagte sie. Salomé wiederholte er und zog den Namen in die Länge, Salomé, Stieftochter des Herodes, Tochter der Herodias, und eine Ihrer Namensschwestern wurde Jüngerin des Jesus von Nazareth. Meine liebe Salomé, wenn ich Ihnen irgendwie helfen kann? Er hatte sich wieder zu ihr gebeugt, liebenswürdig und ein wenig ungeschickt auch.
    Gleich neben der Kirche ist mein Büro, dort habe ich ab übermorgen wieder Sprechstunde.
    Helfen Sie mir jetzt schon, Reverend?
    Wenn ich kann.
    Darf ich kurz Ihr Handy haben, hatte Vera ihn gebeten und kurz darauf die SMS an Jo getippt.
    Wenn Sie unbedingt beichten müssen, Salomé, sagte der Reverend und setzte sich zurück auf seinen Bürostuhl, dann kommen Sie besser zur nächsten Eucharistiefeier. Dort ist Beichte für alle Anwesenden in einem Aufwasch und danach Absolution im stillen Gebet.
    Ich will aber jetzt beichten.
    Sofort?
    Und privat.
    Warum?
    Ich will Ihnen alles sagen und dann vergessen.
    Der Reverend hatte bereits eine Schreibtischschublade geöffnet. Soso, sagte er. Es klang wie: Am liebsten würde ich Sie jetzt erschießen.
    Ich habe unter anderem gestohlen, Reverend, in letzter Zeit sogar ziemlich oft, sagte sie tapfer, wollen Sie meine anderen Sünden auch wissen?
    Der Reverend zog eine Stola aus der Schublade und legte sie um. Alle dürfen, keiner muss, einige sollten, murmelte er, und rollte auf seinen Stuhl um zwei Ecken des Tischs zu ihr herüber.
    Erzählen Sie.
    Als sie fertig waren, legte er die Stola ab, griff zum Telefon und rief in einem Krankenhaus bei der University St Mary an.
    4.
    Das hier ist kein Hotel, Love, hier kommen die Leute zum Sterben hin. Schwester Lea fuhr mit einem Finger die Details auf dem Einstellungsbogen ein zweites Mal ab. Wir nehmen Sie, weil Reverend Jonathan Sie empfohlen hat. Wo haben Sie Ihr Praktikum gemacht, Salomé?
    Noch zu Hause, antwortete Vera vage.
    Schwester Lea musterte

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