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Wünsche

Wünsche

Titel: Wünsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Kuckart
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die Frau, die aus Deutschland kam.
    Keine schöne Arbeit, Love.
    Vera nickte.
    Lauter Altersschwachsinnige und nur sechseinhalb Pfund in der Stunde.
    Vera versuchte, das Gesicht einer professionellen Krankenschwester aufzusetzen und nickte wieder. Als sie wenige Minuten später den Vertrag unterschrieb, hatte sie das Gefühl, in ihr sängen zwei Vögel. Es war der 1.   Februar. Bis der Frühling kam, dauerte es noch. Trotzdem stellte sie sich an dem Mittag, an dem sie mit ihrem Vertrag aus dem Personalbüro kam, vor, es sei bereits Frühling. Ganz in Gedanken rannte Vera gegen einen Mann, der an die zwei Meter groß war und auf sie herabschaute, als sei sie ein Ball, den er nur kurz dribbeln musste, um ihn sanft und nah beim Himmel in einen Korb zu legen. Ich habe kein Geld mehr, alter Friedrich, würdest du mir postalisch etwas anweisen, hatte sie gestern noch nach Hause schreiben wollen. Doch wäre das nicht wirklich unfair gewesen? War Friedrich ihr mittlerweile nicht so egal wie ein Sack Kartoffeln, der in Australien umfällt, und sie ihm deswegen auch – vielleicht?
    Und in den folgenden Tagen behielt das Leben seinen Glanz. Noch was vor?, fragte Schwester Lea oft, wenn Vera sich nach Dienstschluss in der Kammer neben der Schwesternküche umzog und dabei ein Lied von Johnny Cash pfiff. In dem kleinen Raum roch es wegen des Fußschweißes wie in einer Moschee. Eine Reihe von billigen Ballerinas in Pastellfarben wartete unter der Heizung. Innen vom Schweiß bräunlich verfärbt, außen mit ausgelatschten Gesichtern trotz des jugendlichen Designs. Anfangs hatte Vera der Geruch nach Käse gestört, doch auch daran hatte sie sich gewöhnt. Alles gehörte dazu. Auch sie gehörte dazu. Rasch schaute sie sich bei den anderen Schwestern auf Station ab, wie man mit einem Einmalwaschlappen die Gesichter von alten Damen und Herren reinigte, danach den Hals, die Ohren, das Dekolleté, die Achseln, Arme, Hände, Brust, Bauch, Geschlecht, Schenkel und zuletzt die Füße. Sie gewöhnte sich an die Adern und Unebenheiten alter Haut. Beim Waschen fragte sie die alten Damen, was sie geträumt hatten in der Nacht, und schaltete das Deckenlicht für die morgendliche Waschaktion nicht an. Es brannten nur die Nachtlampen an den Betten, das machte das Reden leichter. Sie ging ihrer Aufgabe nach, welche nicht nur aus Arbeit, sondern auch aus Anwesenheit bestand.
    Bin ich froh, dass meine Frau nicht mehr sprechen kann, hatte am ersten Arbeitstag der Mann einer Patientin zu ihr gesagt, als sie das Tablett aus dem Zimmer räumte.
    Warum?
    Sie würde immer nur sagen: Ich will nach Hause.
    Und als sie noch zu Hause war?
    Da hat sie Geldscheine zerschnitten und in den Schrank gekackt.
    Den Lohn der ersten Woche brachte Vera als Scheck zum Royal Mail Postoffice gleich beim Royal London Hospital. Sie eröffnete das Konto auf den Namen Salomé Schreiner. Das Unterschreiben hatte sie in der Nacht zuvor geübt, bevor sie am Morgen in Westernstiefeln und mit unerschrockenem Fersengang ans Ende einer langen Schlange vor dem Schalter trat. Der Beamte wollte nicht einmal die Signaturen vergleichen. Nur die Bürgschaft von Reverend Jonathan sah er genauer an.
    Als sie das Postoffice verließ, machte sie einen Sprung, so wie sie ihn eigentlich nur bei Jo in letzter Zeit gesehen hatte. London! Im März würde der Frühling kommen und die Sonne sich in den ersten jungen Blättern verfangen. Das Muster aus Licht und Schatten auf den Gehsteigen Londons würde ganz ähnlich sein wie das daheim. London und Springtime. Vera lachte. Was für ein Hüpfen und Jauchzen lag in dem Wort: Springtime! Jetzt fehlte nur noch ein Mann, der die Hand mit dem Druck der Liebe auf ihren Kopf legte und das Herz höher schlagen ließ.
    London! Was für ein Vorrat an Leben lag in der Luft.
    5.
    Ein Zaun, ein Stück Rasen, winterschäbige Erde im Blumenbeet und die Veranda beim Eingang voller Kram. Der Schlitten ließ darauf schließen, dass es Kinder gab. Die leeren Blumenkübel aber sagten, dass keine Frau mehr da war, die sie bepflanzte. Vera schaute noch einmal den Schlitten an und fand, es war eine Frage von Anständigkeit, den Mann hier in Ruhe zu lassen. Es war Sonntag.
    Sie war ihm gefolgt und am Ende durch eine unauffällige Passage zwischen zwei Wohnblocks hinter ihm her geschlüpft. In dem Durchgang lagen eine jüdische Bäckerei, eine pakistanische Zeitungsredaktion und ein Hochzeitsstudio, das sich bei den ausrangierten Kulissen von Ben Hur bedient haben musste.

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