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Wünsche

Wünsche

Titel: Wünsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Kuckart
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allein durch Worte annehmbar zu machen, nicht durch Zauberei. Letzte Ölung gibt es bei uns nicht. Außerdem heißt das längst nicht mehr so.
    Wie heißt das denn jetzt? Vera hielt die nächste Schwingtür auf. Der Flur, der vor ihnen lag, hatte die Farbe von Sand.
    Krankensalbung, sagte der Reverend, ich habe übrigens auch nichts Entsprechendes dabei. Wir arbeiten nicht gern mit Requisiten und Nebelmaschinen, wissen Sie?
    Vera blieb stehen. Sie zog eine flache, runde blaue Dose mit weißer Schrift aus der Kitteltasche:
    Können Sie denn nicht wenigstens so tun? Mr.   Panton hält seit Stunden die Augen geschlossen. Er wird nicht sehen, dass es Nivea ist.
    Aber riechen, Salomé, er wird den Betrug riechen, sagte der Reverend. Und was soll ich ihm dann sagen? Er verschränkte die Arme. Dass ich nur zufällig da bin, wie Gott, der selbst nur die Summe aller Zufälle ist?
    9.
    Der Stadtfuchs, den sie schon kannte, stand mitten auf der Kreuzung vor Kennedys Haus. Es war noch keine sieben Uhr in der Früh, als sie vorbeilief. Der 1.   Mai. In Deutschland war es der Tag der Arbeit. In spätestens einer halben Stunde würde sie ins Bett fallen. Sie starrte den Stadtfuchs an. Er starrte zurück. Die stille Begegnung mit dem Tier war ihr jedes Mal unheimlich, so als könnte sie seinetwegen eines Nachts in dieser Stadt hier in die Irre gehen. Seine Augen waren so alt.
    Der Flyer lag hinter Kennedys Tür. Do you want to be a British citizen? Learn English with low cost. Great opportunity for life in the UK . Was das Sussex College vorn auf seiner Werbung auf Englisch versprach, versprach es auf der Rückseite nochmals auf Arabisch. Der britische Pass, oben rechts wie eine Briefmarke drapiert, sah auf den ersten Blick wie eine Sonderausgabe des Korans aus. Draußen auf der Straße zog die Müllabfuhr mit dem Geräusch von Gewitter die Tonnen über das Pflaster. Kennedys Vögel in der Küche protestierten laut gegen den Lärm von draußen, als Vera in die Küche kam.
    Sie wärmte Wasser für Tee, und mit der Tasse in der Hand ging sie noch einmal hinaus auf die menschenleere Straße vor dem Haus. Der Fuchs war fort und konnte so nicht sehen, dass sie den Flyer im Haus nebenan einwarf. Bei dem kleinen, dicklichen Pakistani, der mit seinen Eltern bei wärmerem Wetter auf Klappstühlen beim vergitterten Fischteich saß. Vater und Mutter waren Ende fünfzig und fuhren einen grünen Audi 80, mit dem weder sie noch er vor dem Haus einparken konnten. Englisch sprach die Frau gar nicht, hatte Vera an der Kasse beim Sainsbury’s einmal bemerkt. Ihr Blick aus der Mitte der Vermummung war finster gewesen. Finster vor Scham. Vera ging mit ihrer Tasse ins Haus zurück. Mr.   Panton war gegen zwei Uhr in der Nacht mit dem Geruch von Nivea in der Nase sanft entschlafen.
    Der Reverend hatte Panton gesalbt und für ihn den 23. Psalm gesprochen. Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln. Er weidet mich auf einer grünen Aue. Dann hatte er die harte, rechte Greisenhand von Mr.   Panton, dem Haudegen, genommen und sie über Stirn, Brust und beide Schultern zu einem Kreuzzeichen geführt. Der Reverend und Panton hatten gemeinsam ein Seemannslied gesungen, weil Panton sich weder an Kirchen- noch Weihnachts- oder Osterlieder erinnerte. Rolling home to Cape Horn one frosty morning /And our sails were full of snow / Clear your sheets and sway your halyards / Swing her out and let her go / Rolling home . Wenige Sekunden nachdem Panton noch einmal seufzend aus- und dann nicht mehr eingeatmet hatte, gab Reverend Jonathan Vera die Nivea-Dose zurück. Sie hatte am Fußende des Bettes gestanden und sich nicht getraut, von irgendwoher eine Kerze zu holen wegen des neuen, übereifrigen Feuermeldesystems auf Station.
    Woher kannten Sie das Seemannslied, hatte sie den Reverend gefragt, als er leise die Zimmertür hinter sich schloss. Er sagte: Ich bin in Whapping großgeworden, bei den Docks. Mein Großvater und sein Vater sind zur See gefahren. Damals wurden übrigens am Kai von Whapping noch Piraten hingerichtet und zwei Fluten lang bei den wasserseitigen Mauern der Lagerhäuser festgebunden, bis die Leichen so aufgeschwemmt waren, dass man sie Whopper nannte. Mordsdinger eben, die andere Piraten abschrecken sollten. Wenn das die Leute von Burger King gewusst hätten, sie hätten sich für ihren Hamburger einen anderen Namen ausgesucht, oder? Übrigens, haben Sie eigentlich kein netteres Kopfkissen für ihn, falls sich jemand verabschieden

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