Wünsche
Zunge einen weiteren Knoten in seinem Mund, seinem Kopf, seinem Bauch zu lösen versuchen, und vielleicht würde sich – wenn Beten half – endlich der Augenblick wie ein erotischer anfühlen, sich um ihn schließen und an ihn schmiegen, von außen wie von innen. Er stand auf. Stand da, und neben sich. Wie zu oft in seinem Leben.
Würde er alles tun, was sie wollte?
Nein.
Würde er sich widersetzen?
Nein.
Was würde er denn tun?
Nichts, wie so oft.
Dann wollen wir mal, sagte sie und schielte ihn an. Müdigkeit? Alkohol? Für einen Moment hatte ihr Gesicht etwas Bitteres, Verwahrlostes, aber das mochte am diffusen Streulicht der Deckenlampe liegen. Er verschränkte die Arme vor der Brust.
Geh zur Sicherheit vorher auf die Toilette und komm dann rüber zum Bett, sagte sie.
Bevor er die Badezimmertür hinter sich schloss, beobachtete er, wie sie sich auf dem Weg zu seiner Schlafnische langsam auszog. Von hinten sah sie weniger erloschen, weniger halsstarrig und überraschend jung aus.
Sie war nackt, hatte aber ihre Wäsche in der Hand, als er keine zwei Minuten später vor dem Bett stand. Ausziehen, los, auch du, befahl sie. Big Boy, jetzt wirst du mein Mann, las er aus ihrem Blick, bevor sie ihn mit einem dunkellila Trägerhemd näher zu sich heran winkte. Big Boy hieß ein Film von Coppola aus dem Jahr ’64. Eine Komödie. Immer wenn Hannes seine eigene Existenz als Überrumpelung begriff, versuchte er zu denken, das ist ja wie in diesem oder jenem komischen Film. Als sie wenige Augenblicke später seinen linken Fuß mit ihrem BH an den Bettpfosten unten links fesselt und seinen rechten mit einem ihrer halterlosen Strümpfe an den rechten, fragte er mit belegter Stimme, was ist denn das jetzt?
Ist Liebe, sagte sie nachlässig, sieht man doch.
Merets Gesicht fing vor seinen Augen an zu flimmern, dann brannte es. Ihre Ohren wanderten nach vorn, nach hinten, als hätte sich etwas in seinem Kopf falsch eingestellt. Meret sagte etwas, aber er verstand sie nicht mehr. Stattdessen schloss er die Lider. Aus den Augen, aus dem Sinn, dachte er, hatte aber gleichzeitig eine klare Vorstellung davon, wie er auf Frau Gutmanns mattblauem Spannbetttuch aus Frottee lag, er, ein ziemlich athletischer Mann, aufgespannt wie ein frisch abgezogenes Kaninchenfell. Kleine, geschickte Hände, die nicht mehr jung waren, befestigten seine rechte Hand am rechten Bettpfosten. Er riss die Augen auf und starrte auf ein dunkelblaues, dehnbares Etwas, das an einen Slip erinnerte. Meret fesselte damit seine Linke. Nein, sagte er schwach. Doch, antwortete sie zärtlich und drehte locker das dunkellila Trägerhemd zusammen, das ihn eine Schrecksekunde lang an Blue Velvet erinnerte. Das wird jetzt aber wirklich komisch oder soll wohl komisch sein, wollte er noch sagen, da hatte sie ihn bereits mit dem Hemd, das nach Waschpulver schmeckte, geknebelt.
Hatte auch sie bei dem, was sie tat, Bilder im Kopf?
Wahrscheinlich spielte sie den Videoclip nach, den sie an Silvester gesehen hatten. Damals hatte er sich geschworen, er werde eher mit einem Polizisten oder der Queen oder nur mit einem ihrer festlichen Marzipankleider ins Bett gehen als mit dieser Frau auf dem Barhocker neben ihm, deren Hosenanzug verdammt kratzig ausgesehen hatte.
So, sagte sie, so und so und so und zog den letzten Knoten straff.
Er hasste sie.
Sie liebten sich.
Irgendwann war Meret mit dem Gesicht auf seiner Brust eingeschlafen. Als gegen sechs Uhr ein Müllwagen vor dem Haus hielt und die Mülltonnen aus dem Vorgarten von Frau Gutmann vor dem Fenster entlanggezogen wurden, stand sie auf. Er hörte den Wasserhahn in der Küche laufen und Gläser klirren. Sie trank wohl einen Schluck, sammelte Rock, Schuhe, Bluse und Mantel zusammen, ließ ihre Unterwäsche da und ging. Eilige Schritte liefen an seinem Souterrainfenster vorüber, hart wie die von einem ungestümen Pferd. Ein Geruch von September blieb.
Später, als es bereits Tag war, klingelte sein Telefon. Er stöhnte auf und zerrte an Merets Slip, BH und Strümpfen. Eine Stechmücke oder auch zwei hatten sich, während er schlief, in seine Armbeuge gesetzt und ihn fachkundig angezapft. Der Anrufbeantworter schaltete sich nach dem vierten Klingeln ein.
Folgendes, sagte Wünsche, und seine Stimme hörte sich an, als nehme er einen Schluck Kaffee. Hannes stellte sich vor, dass Meret mit ihrer Tasse danebensaß und sich amüsierte.
Wir müssen den nächsten Drehtermin verschieben, sagte Wünsche. Ich glaube, meiner
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