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Wünsche

Wünsche

Titel: Wünsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Kuckart
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geöffneten Wagentür zu wedeln begann, und ich weiß bis heute nicht, ob ich ihn aus Mitleid angefasst habe oder nicht, aus Ekel. Dann bin ich ohne ihn losgefahren. Er ist ein Stück hinter meinem Wagen hergelaufen, bis er sich an den Straßenrand gesetzt hat, als wollte er dort auf mich warten. Ich hätte ihn einfach packen und mitnehmen sollen, sagte Karatsch, ich hätte es tun können.
    Man hätte vieles tun können, sagte Hannes.
    In der Woche darauf begann Hannes mit dem Rohschnitt zu seinem Film Wünsche . Er arbeitete mit Karatschs Computerprogramm Final Cut in dessen Keller. Es war Samstag. Wünsche saß mit dabei. Von dem, was sie in Karatschs Souterrain machten, verstand Friedrich nicht viel, aber er war ein Freund geworden.
    In der gleichen Nacht noch notierte Hannes seine alte Geschichte mit Vera, als Sequenz für einen Film, den er nie drehen würde. Eine seiner grünen Karteikarten reichte dafür aus. Er schrieb: Abschlussprüfung an einer Berufsschule vor ca. zwanzig Jahren. Blütenlose Grünpflanzen drücken sich auf dem Treppenabsatz an die dunklen Scheiben zum Schulhof. Er, Schüler, sitzt auf der Treppe. Vera, Lehrerin, setzt sich neben ihn. Prost! Sie trinken und trinken, und als sie nicht mehr trinken, gehen sie zu ihm. Ich liebe dich, sagt er, als sie noch angezogen auf dem Bett liegen. Danke, sagt sie, aber jetzt halt den Mund und mach. Zwischen dem Prost und den beiden letzten Sätzen, so notierte Hannes, wird nichts geredet. Nur Umgebungsgeräusche und Musik. Portishead, wahrscheinlich.
    Weißt du schon, wie man Auto fährt?, fragte ihn tags drauf ein kleines Mädchen an einer Fußgängerampel.
    Winkst du mir, wenn ich jetzt rübergehe?, fragte er zurück.
    Ich winke nur, wenn du nicht gehst, sagte das Mädchen.
    7.
    13.   September, 18.37   Uhr, sagte Hannes’ iPhone. Die Hortensien auf der obersten Stufe des Eingangs zur rosa Villa hatten kindskopfgroße, blassblaue Blüten. Ich bin nicht unbewohnt, sagte das geöffnete Fenster im ersten Stock. Ein Fensterflügel schlug böse im Luftzug. Hannes warf noch einen letzten Blick auf das rote Fahrrad, das klein war wie ein Kinderrad, und lief los. Das Gurren der Taube, die ihre regelmäßige Folge immer abbrach, begleitete ihn. Na, Taube, wohl den Text vergessen, sagte er laut, aber merkte, seine Stimme klang matt und gar nicht spöttisch.
    Nach wenigen Schritten hing ein Zettel DIN -A4-Zettel am Baum. Ich habe einen Abend zu verschenken , stand da von Hand geschrieben. Einen Moment zögerte Hannes, dann riss er den Zettel ab und stopfte ihn in den Bund seiner Trainingshose. Er kniff die Augen zusammen und lief schneller. An einer dünnen Birke, keine hundert Meter weiter, wo er normalerweise aus dem langsamen Trab ins Laufen fiel, hing der nächste Zettel: Früher waren wir anders. Früher waren wir jung. Aber was soll’s. Früher war auch nicht alles wie früher . Auch den riss er ab und grinste. Hier veröffentlichte also jemand, der keinen Verlag gefunden hatte? Er beschleunigte sein Tempo, auch weil ein drittes Blatt weiß zwischen zwei Zaunpfählen des leer stehenden Bauernhofs aufleuchtete: Ich will jemanden finden, auf dem ich schlafen kann . Und: Bitte geh danach nicht, auch wenn ich schnarche , stand auf einem vierten Zettel an der Schranke zum Wald. Hannes steckte ihn zu den anderen. Bei der Tannenschonung bekam er kurz Seitenstiche, und als er bei dem Kreis verbrannter Erde ankam, wo bald der Mann mit den Weihnachtsbäumen sitzen würde, kam ihm der Ort grundlos unheimlich vor. Er starrte auf den dunklen Kreis. Wie das Grab eines verscharrten Huhns, dachte er und drehte sich abrupt um. Nichts. Oder war da nicht doch eine Bewegung gewesen, hinten beim Farn? War da nicht jemand hastig mit einem roten Rad verschwunden? Er drehte sich wieder zurück. Und was schaute da unter dem großen Stein gleich neben dem dunklen Kreis hervor? Hannes bückte sich. Mit dreizehn habe ich zum ersten Mal nicht mehr in den Speiseaufzug gepasst, aber da kannten wir uns noch nicht. Er nahm das Blatt und lief weiter, in den tieferen Wald hinein, dessen Höhe und stille Trockenheit heute das Rauschen der A1 in der Ferne zu einem monotonen Dauerton werden ließ, mit dem Gefahr aufzog. Seine Hände fühlten sich plötzlich seifig an, und er merkte, er wartete. Die Nachrichten kommen immer erst hinterher , stand auf einem Blatt beim Ausgang des dunklen Walds. Es lag zwischen den Zweigen einer letzten kleinen Tanne, die so braun war, dass sie sicher den

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