Wünsche
lachte er verlegen: Langweilig ist dir nie, oder? Karatsch, antwortete Jo, Karatsch, bitte! Das waren nicht mehr Stimme und Ton des kleinen Jungen, der einmal mit Spielzeugschiffen in seinem grünen Badewasser Havarien simuliert hatte, während seine Mutter auf einem Hocker dabeisaß und nicht weniger aufgeregt seine Seenot mitspielte. Letzte Woche hatte der Sohn noch einmal angerufen. Komme am Donnerstag, das ist der 12. September, hatte er gesagt und nebenbei mit dem Dritten Offizier, der wohl neben ihm stand, auf Englisch gescherzt. Es war ein Stolz in seiner Stimme gewesen, nicht auf eine Tat oder die eigene Person, sondern auf das, was er durchlebt hatte. Er hatte nach Vera gefragt, aber ohne jede Besorgnis. Längst hatte er sich herausgeschnitten aus dem Alltag im Flachbungalow. Das Meer war in das Leben des Sohnes eingedrungen, und Karatsch war neidisch geworden. Er hatte an dem Abend wieder den alten Globus geholt und lange auf dem Schoß gehalten. Langsam, ganz langsam nur war das viele Wasser zwischen dem Sohn und ihm zum Komplizen der Heimkehr geworden.
Als er den Schlüssel in die Haustür steckte, ärgerte er sich. In seiner Küche spielte das Radio. Im Souterrain stand das Fenster auf Kippe. Er hörte ein übermütiges Lachen. Friedrich und Hannes schienen sich beim Schneiden des Films bestens zu amüsieren und hatten nicht, wie verabredet, das Haus um zehn verlassen.
Das da unten sind nur Freunde, sagte er, als er Salomé in der Diele die Jacke abnahm. Sie schneiden einen Film.
Das Wetter, sagte der Radiosprecher aus der Küche.
Salomé holte einen DIN -A4-Umschlag aus ihrer Plastiktüte: Was glauben Sie, was für ein Porto da draufkommt?
Karatsch nahm ihr den Umschlag aus der Hand und fühlte irgendetwas Flaches, Hartes. Sie berührte mit dem Zeigefinger vorsichtig die Plastikmadonna auf dem Dielenschrank. Hübsch, sagte sie, ich mag Kitsch. Dann schaute sie in den Spiegel. Ihre Blicke begegneten sich. Er sah als Erster weg, drehte den Umschlag um und las die Anschrift.
Bayrischer Rundfunk, sagte der Nachrichtensprecher aus dem Radio, es folgt das Nachtkonzert.
London, las Karatsch sich selber vor, mit einer Stimme, die er so nicht kannte.
Ja, der Brief geht nach London, sagte Salomé Schreiner, da war ich übrigens nur einmal mit meinem Exmann. Damals habe ich aber nicht viel gesehen. Wir sind nachts gefahren, mit einer Mitfahrgelegenheit. Mein Mann wollte bei einem Gebrauchtwarenhändler in der Nähe vom Flughafen Luton ein Auto kaufen. Die Autos sollten dort besonders billig sein. Zurück sind wir in der gleichen Nacht im neuen Auto und mit Zollkennzeichen. In London habe ich damals nicht mal ein Hotelzimmer, geschweige denn die Themse oder die Tate Gallery gesehen.
Vera Conrad. London! Karatsch las noch einmal Namen und Anschrift und legte den braunen DIN -A4-Umschlag auf den Dielenschrank. Wieder schaute er in den Spiegel.
Wie lange brauchte man, bis man sah, was man sah?
Hannes fächelte mit einer Karteikarte in der Luft herum, als Karatsch die Tür zum Souterrainbüro öffnete und Salomé Schreiner vor sich her schob. Er hatte eine Hand zwischen ihre Schulterblätter gelegt. Auf dem grünen Spannteppich lagen noch mehr Karteikarten herum, in Rosa, Grün, Gelb und Blau.
Wem sind denn die runtergefallen?
Die sind nicht runtergefallen, sagte Friedrich und stand auf.
Die sind Konzept, sagte Hannes und tippte weiter in die Tastatur.
Sie zerschneiden hier also einen Film, sagte Salomé Schreiner und zeigte auf den Bildschirm.
Dort lief eine Frau, die selbst von hinten besehen eindeutig Meret war, eine Reihe von Schaufenstern ab, mit einem Kaffeebecher und einem Croissant in der Hand, die bloßen Arme mädchenhaft, die Schultern rund, fast sportlich, aber alles schwarzweiß.
Buchstabe für Buchstabe stanzte sich der Filmtitel in Schreibmaschinenschrift quer über das Bild, während Merets Silhouette im langen schwarzen Kleid wie der Schatten eines Karussells daran vorüberflog.
W-ü-n-s-c-h-e, buchstabierte Salomé mit, spielt sie oder ist das echt? Sie setzte sich auf das Gästesofa. Auf dem Bildschirm drehte Meret sich nach ihr um, als hätte sie die Frage gehört und würde deswegen die Frau auf dem Sofa dringend an den Haaren ziehen wollen.
Gott, sagte Salomé, das ist doch die, die letzten Samstag im Schaufenster öffentlich geschlafen hat, als wir uns kennenlernten. Ihre Hand flatterte zu Karatsch hinüber, griff aber ins Leere.
Das ist nur Audrey Hepburn für Arme, und
Weitere Kostenlose Bücher