Wünsche
anderen Mann gepasst, obwohl sie unter seiner Obhut kaum älter geworden war. Ja, er hatte seine Pflegetochter immer gut gepflegt. Wenige Züge später ging Karatsch mit der Zigarette noch im Mundwinkel zum Volvo und tätschelte dessen Dach wie den Hals eines Pferdes.
Karatsch war noch zu Hause, als Donnerstag früh Hannes aus dem Büro über der Eisdiele anrief.
Bis Samstag, oder, Karatsch?
Netter Kerl, dieser Hungerland. Karatschs Firma hatte er mit Internetauftritt und Werbestrategie ein neues Image verpasst, alles zweisprachig und sehr professionell. Die Videos hatte Hannes mit einer japanischen Tänzerin als Ansagerin gedreht, eine hübsche Person ohne jede Emotion. Ihre Sachlichkeit wirkte wie eine Verführung, die sich sogar bei den Absatzzahlen anspruchsvoller Jazzaufnahmen bemerkbar machte. Mittlerweile übernahm Hannes auch Büroarbeit und schien sich sogar beim Sortieren und Archivieren alter CD s im Keller wohlzufühlen. Wieso eigentlich? Früher hatte Vera diese Arbeit besonders gern an Sonntagnachmittagen gemacht und war erst abends mit einem Gesicht wie nach einem verbotenen Rendezvous aus dem Keller wieder aufgetaucht.
Ja, bis Samstag, sagte Karatsch am Telefon, aber macht mir bloß meinen Computer nicht kaputt.
Karatsch hatte letzte Nacht wie ein Gast im eigenen Haus unten im Souterrain geschlafen. Seine Kaffeemaschine gluckerte. Ach, es hatte auch Vorteile, dass Vera fort war. Morgens konnte er Unmengen von Filterkaffee wie warmes Wasser aus der alten Maschine trinken. Er mochte diesen Beigeschmack von Plastik.
Noch was, Hannes.
Er griff in die Tasche des Bademantels. Bei der Gelegenheit hatte er wie seit Monaten schon eine Haarspange von Vera in der Hand, und geträumt hatte er auf dem Gästesofa auch: Der Bewegungsmelder vor der Haustür blinkte rot. Dann blinkte es rot im Zimmer. Jemand war hereingekommen. Ein Schatten, groß wie ein Mann, klein wie eine Frau. Der Schatten hob die Bettdecke an und kletterte neben ihn. Es war eine Frau, klein, rund und hell auch im Dunkeln und wie aus lauter Kugeln zusammengesetzt. Ich bin die Rattenfängerin, sagte sie, you have been thirteen for a long time, Karatsch. Sie öffnete seine Schlafanzughose, die plötzlich einen Reißverschluss hatte. Dann Schnitt. Er saß wieder allein oben in der Küche und aß Gulasch.
So ein Traum bedeutete vielleicht nur, dass man etwas gegessen hatte, was einem nicht bekommen war.
Sag mal, Hannes, fragte er, das Ding, auf dem ich letzte Nacht geschlafen habe, ist das eigentlich ein Sofa oder eine Couch?
Wieso?
Ach, nur so und bis gleich.
Karatsch legte auf. Den Mumienexpress hörte er drüben bei der Wendeschleife anfahren, nahm sich einen weiteren Kaffee und ging in den Keller. Alles muss man selber machen, murmelte er, als er das Möbelstück breitbeinig unter seinem Hintern prüfte. Er wippte, bis die Federung nicht mehr quietschte, sondern schrie. Der fusselige Bademantel klaffte unterhalb des Gürtels weit auf. Er versuchte die Kanten übereinanderzuschlagen, und ihm wurde klar, bei Sofa dachte er an Kindheit und Sex, bei Couch an Sigmund Freud.
Als er wenige Stunden später endlich Salomé Schreiner anrief, räumte sie während des Telefonierens hörbar Besteck ein. Klar, sagte sie freundlich, aber zerstreut, Samstag geht. Zu Karatschs Freude gab es sonst keine Hintergrundgeräusche. Weder von einem Mann noch von ungeduldigen Kindern war im Hintergrund etwas zu hören. Keine glückliche Familie wartete darauf, dass Mutter endlich aufhörte, mit der Welt draußen zu sprechen, weil es ohne Mutter beim Essen so kalt war unter dem Tisch.
Gern Italienisch, sagte Salomé Schreiner. Wo treffen wir uns?
Karatsch sah den Abend bereits vor sich. Bei der Käseauswahl würde sie mit einer Gabel hierhin und dorthin stechen, bis er ihr das Besteck aus der Hand nehmen, eine Scheibe Mozzarella abschneiden und ihr auf dem Messer in den Mund schieben würde.
3.
Es regnete, ein feines, stetiges Nieseln, das die Neonlampe vor dem Restaurant mit einem schmutzigen Schein umgab. Salomé Schreiner lief mit einer Plastiktüte und hochgezogenen Schultern neben ihm her zum Volvo. Den Arm schützend um sie zu legen, wie er es gern getan hätte, stand ihm nicht zu.
Mein Buch gibt übrigens den bislang umfassendsten Überblick über die Szene in der DDR , sagte er, obwohl sich junge Frauen normalerweise nicht für seinen Jazz interessierten. Auch Vera hatte lieber Trip-Hop, Beth Gibbons und Sophie Hunger gehört. Das erste Kapitel
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