Wünsche
Schnürschuhen verließ er Friedrichs Dachzimmer. Die Zeitung ließ er liegen.
2.
Das Interview war dreispaltig.
Haus Wünsche habe, hatte Friedrich im Lauf des Gesprächs gesagt, mit seiner langen Geschichte in dieser Stadt eine besondere Substanz, sei also fast so etwas wie Kult. Sonst stünden Sie ja nicht mit mir hier, meine Herren, hatte er gesagt, und die beiden von der Lokalpresse, ein Redakteur im weißen Anzug und ein Fotograf mit beigem Hut, kauten weiter Kaugummi. Nochmals zum Konzept, sagte der Redakteur. Der Fotograf spielte an seinem iPhone. Stellen Sie sich ein Warenhaus aus der guten alten Zeit vor, verknüpft mit der Möglichkeit, online einzukaufen, hatte Friedrich gesagt, und ein freundliches Gesicht hinter der Ladentheke hilft Ihnen dabei, wenn Sie mit der virtuellen Welt nicht richtig vertraut sind. Zusätzlich hat meine Schwester Meret noch die Idee, eine Stilberatung für unsichere, meistens männliche Kunden anzubieten, die ihr neues Outfit sowohl aus dem Ladensortiment auswählen als auch online bestellen können oder sogar ganz altmodisch vor Ort sich einen Anzug nähen lassen wollen. Meine Schwester und ich werden, ganz dem Familiennamen Wünsche verpflichtet, uns nach den elementaren Wünschen unserer Kunden richten und es vermeiden, falsche Bedürfnisse zu wecken durch alberne Angebote wie drei T-Shirts für den Preis von zwei. Für diese Art von Geschäftspolitik ist hier kein Platz.
Ihr Laden ist ja auch ziemlich klein, sagte der Redakteur, und dann drehen Sie hier auch noch einen Film?
Hannes Hungerland hat hier einen Film gedreht, hatte Friedrich geantwortet, ich selber weiß ja nicht einmal, dass es keine Tierquälerei ist, wenn die Katze an der Tonangel hängt, sondern dass Katze nur ein Ausdruck ist für ein Mikrofon mit Fellüberzug als Schutz gegen Wind. Der Redakteur in dem weißen Anzug, der bislang nicht mitgeschrieben hatte, zog plötzlich Notizblock und Kuli mit Sparkassenwerbung aus der Seitentasche des weißen Jacketts.
Sagen Sie das noch mal, bitte.
Kann man nicht zweimal erzählen, sagte Friedrich, war ein Witz.
Sagen Sie mal, warum machen Sie das eigentlich alles hier?, fragte der Redakteur. Während er seinen Kaugummi aus dem Mund nahm und ein Papierchen suchte, dachte Friedrich, vielleicht für mich? Vielleicht mache ich das alles nur für mich. Oder für meine Frau? Oder für eine Frau, oder auch zwei? In dem Moment tauchte Fräulein Möller zusammen mit einem Lehrmädchen auf, die eine wie immer mit diesem erwartungsvollen Rosa im Gesicht und die andere in einem leichten Top, obwohl es schon Herbst wurde. Beide servierten große Gläser Latte macchiato und Mandarinentörtchen, während der Zeitungsfotograf beim Lehrmädchen auf den schmalen Streifen Haut zwischen Spaghetti- und BH -Träger starrte wie ein Hund auf eine Wurst. Ich mache das alles hier, weil ich die Welt verändern will, hatte Friedrich sich in dem Moment laut sagen hören und großen Spaß an seinem schrägen Geständnis gehabt. Mal sehen, dachte er, was die jetzt daraus machen. Mit der suggestiven Stimme eines Mannes, der sein Geschäft kennt und in Marketing, Finanzierungsmodellen und unverwechselbarer Geschäftskultur einfach unschlagbar ist, hatte er für die örtliche Presse noch angefügt, dass er danach strebe, achtzig Prozent seiner aktuellen Ware ohne Nachlass zu verkaufen. Den Rest werde er an jeweils vier Sonntagen im Frühling, Sommer, Herbst und Winter verschenken. Denn was man zu verschenken vorgebe, verwandle sich in Gewinn.
So ein Dilettantismus, sagte der Fotograf.
Richtig, sagte Friedrich, ich bin Dilettant und ein schlechter Erbe, der erben eigentlich unmoralisch findet.
Warum?, fragte der Redakteur.
Ich glaube, Marx hatte recht.
Wie bitte? Der Redakteur kritzelte etwas auf seinen Sparkassenblock, das aber viel länger war als Friedrichs letzter Satz. Wahrscheinlich nahm er eine Anzeige auf. Fräulein Möller hatte ihre Gesichtsfarbe von Rosa nach Knallrot gesteigert.
Was gibt Ihnen eigentlich diese Sicherheit, Ihren Erfolg hier in der Stadt nicht infrage zu stellen? Jetzt war der Redakteur ebenfalls rot im Gesicht. Wut und Scham haben eben die gleiche Farbe, dachte Friedrich, sagte aber: Bauchgefühl.
Wie bitte? Der Redakteur kniff die Augen zusammen, als könnte er so Friedrichs Stimme lauter stellen.
Bauchgefühl, wiederholte Friedrich. Schon hatte er sich an das Wort gewöhnt. Der Fotograf zog mit der Fußspitze einen Hocker zu sich heran.
Bitte setzen, ich
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