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Wünsche

Wünsche

Titel: Wünsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Kuckart
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Meret, die es immer schaffte, dass man Dinge dachte, fühlte, sagte oder tat, die man nicht denken, fühlen, sagen oder tun wollte. Von seinen Aktiengewinnen hatte Friedrich das Haus bei Basel und mittlerweile den dritten Flügel für Annalisa gekauft, hatte Bilder über und neben und um den Steinway herum gehängt. Sie gefielen ihm nicht nur als Kapitalanlage ganz gut. Aus Sehnsucht nach Stilti Knalles hatte Friedrich eine ältere, robuste Hausangestellte aus dem Schwarzwald zu sich genommen. Sie und der offene Kamin im riesigen Wohnzimmer waren ab jetzt gemeinsam dafür verantwortlich, dass ihm und seiner Familie nicht kalt wurde in dieser hoch aufgeschossenen Existenz ohne Wurzeln. Denn manchmal, wenn Friedrich, ein Manager wie viele, aber mit mehr Geld als andere, vom Parkplatz über die Treppe aus Stahl und Glas in sein Büro ging, hatte er das Gefühl, er habe keine Füße mehr. Er hatte drei Autos, drei Pferde, zwei Kinder und eine Frau, ja, wirklich nur eine, auch an seinem vierzigsten Geburtstag noch, als die meisten seiner Freunde, erfolgreich und wie er süchtig nach Skifahren, Surfen und Sport überhaupt, längst an Scheidung dachten. Alle gratulierten ihm in einem Vier-Sterne-Hotel bei Salzburg zum Geburtstag. Aber jedem stand ins Gesicht geschrieben: Lieber achtunddreißig werden als vierzig. Um Mitternacht holte Annalisa die Gitarre. Drei Griffe, und alle jaulten auf: Hotel California . Annalisa hatte Friedrich während des Liedes lange angeschaut. Mein Gott, wie sehr er sich einmal verliebt hatte in ihre fassungslose Verliebtheit. Mit ihr, hatte er an dem Abend gedacht, kann ich alt werden, ohne jung bleiben zu müssen, was ja verdammt schwierig ist in einer Welt, in der nur neue Autos auf der Straße herumfahren. Mit dir will ich eines Tages im Park Schwäne füttern gehen, hatte er in der Nacht zu ihr gesagt. Sie hatten miteinander geschlafen, kurz und freundlich, aber immerhin. Zwei Wochen später hatte sie ihn verlassen, für ein ganz anderes, für ihr altes Leben in Italien. Die Kinder nahm sie mit. Hatte er das mit den Schwänen zu spät gesagt? Oder zu früh?
    Ob Meret heute wieder ein Gedicht aufsagen würde?
    Komm rein, sagte Friedrich und zog sich rasch die Jeans über. Du musst nicht anklopfen. Doch nicht Hannes betrat das Zimmer, sondern Schneider. Schneider, früher Streifenpolizist, jetzt Kaufhausdetektiv, aber immer mit Fotoapparat vor dem Bauch.
    Haben Sie das schon gesehen? Er warf eine Zeitung, aufgeschlagen auf der ersten Seite des Lokalteils, auf das Bett. Mit der flachen Hand schlug er auf das größte der drei Fotos.
    Ein ganz schlechtes Bild.
    Ein Schnappschuss, sagte Friedrich.
    Nicht mal das. Schneider schob die Hände überkreuz unter die Achseln, es ist einfach nur ein schlechtes Foto, Chef.
    Was wäre denn für Sie ein gutes Bild? Friedrich zog ein kariertes Hemd über und krempelte die Ärmel hoch.
    Wenn das Wesen von dem Ganzen eingefangen wird.
    Friedrich nahm die Zeitung vom Bett und sah genauer hin. Auf dem Foto saß er selber, im Anzug, auf einem Hocker.
    Und was wäre in diesem Fall das Wesen von dem Ganzen?
    Sie, sagte Schneider.
    Das bin doch ich.
    Aber schauen Sie doch, wie Sie da sitzen, auf dem Hocker, sagte Schneider. Ein Hocker sagt, dass man hockt. Sie müssten sich mit den Knien zur anderen Seite schieben, damit das Bild sich öffnet. Und wie kommt dieser harte Nasenschatten unter Ihre Augen? So sieht doch jeder niedergeschlagen und orientierungslos aus. Was hatte eigentlich dieser Dilettant von Zeitungsknipser gegen Sie, dass er Ihnen auch noch die Hände abgeschnitten hat? Schneider fuhr mit dem Mittelfinger am unteren Bildrand entlang.
    Was ist daran so schlimm?
    Jedes Bild, sagte Schneider, entfaltet seine Wirkung nicht in der Mitte, sondern am Rand. Hier! Genau dort, wo Ihnen die Hände fehlen. Schneider hob seinen Fotoapparat. Darf ich?
    Noch ein Foto von mir, heute, wo ich sechsundvierzig werde?
    Schneider grinste. Genau Chef. Ein Unfall, ein Bild.
    Schneider hatte einen Tropfen auf dem linken Brillenglas, und Friedrich bekam große Lust, in dieser durchsichtigen Blase des Augenblicks einfach zu verweilen. War schon okay, dass er langsam auf die andere Seite des Lebens fiel, seitdem Mutter Martha tot und er kein Sohn mehr war. Und wer bitte hatte eigentlich gesagt, dass man bis zum Schluss Wachstum produzieren musste?
    Schneider schraubte den Verschluss wieder auf die Linse seines Fotoapparats.
    Ich geh dann mal.
    In schweren schwarzen, knarrenden

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