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Wünsche

Wünsche

Titel: Wünsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Kuckart
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Falschen gezogen wurden. Er lebte mit seinen zwei Söhnen und dem bösen Blick einer toten Ehefrau im Nacken, der die Spritztour damals mit Meret nach Belgien vorzeitig die mädchenhafte Schönheit geraubt hatte.
    Das Licht an diesem 12.   September wurde rasch gelber. Die Glocken von der Kirche mit den zwei Türmen läuteten den frühen Abend ein, und die Schatten von Fräulein Möller und ihren vier Damen vom Verein Kochlöffel e.   V. lagen sehr lang auf dem Weg unter den Kastanien, als sie mit dem Essen kamen. Im Älterwerden waren sie einander ähnlich wie Parkbänke.
    Wohin jetzt mit dem Salat und der Lasagne? Fräulein Möllers Blick fiel bei der Frage auf den verfrühten Gast im schwarzen Anzug.
    Bald, im Herbst, verkaufe ich übrigens wieder Maronen, sagte er.
    Das schöne Wetter blieb, und alle kamen. Schneider hatte sogar ein kurzärmeliges Polohemd an. Die Damen aus der Schneiderei sowie Fräulein Möller trugen offene Schuhe, aber mit Perlonfüßlingen. Eins der Lehrmädchen, noch ein halbes Kind mit unbändigen Haaren, hatte sich mit zwei anderen Mädchen einen Dreierpack Caprihosen aus der vor-vorletzten Sommerkollektion geteilt, rosa, türkis und kanarienvogelgelb. Alle drei standen sie mit ihren herzförmigen Gesichtern um den einzigen Mann im Verkaufspersonal herum. Er bediente in der Wäscheabteilung und hatte Absatzzahlen, die auf große Menschenkenntnis schließen ließen. Friedrich hatte die Schreis eingeladen. Auch sie hatten, wie Karatsch, aus familiären Gründen absagen müssen. Annalisa hatte eine alberne Ansichtskarte aus Amalfi geschickt, auf der die Kinder nicht einmal selber unterschrieben hatten, und Vera lebte in London. Sie kam gar nicht erst auf die Idee, ihm eine Karte zu schreiben. Wie allein konnte man eigentlich auf seinem eigenen Fest sein? Hannes’ Bauscheinwerfer zwischen den Kastanienbäumen warfen von unten Licht auf die Gesichter von Friedrichs Belegschaft und ließen sie im ersten Moment wie fremde, abstrakte Wesen aussehen, die heute Abend nicht über sich nachdenken, sondern sich nur erleben wollten. Es war kurz nach neun, und die Rotkehlchen, die zuvor laut gesungen hatten, bohrten sich auf den oberen Ästen der Bäume in ihre Träume.
    Wo war Meret? Friedrich sah sich um. Ob sie wenigstens ein Gedicht für ihn auswendig gelernt hatte?
    Sie saß in einem roten Kleid und Westernstiefeln auf einer Bierkiste bei der Hauswand. Er ging zu ihr hinüber.
    Das soll wohl ein Witz sein, hatte sie letzten Samstag gesagt, als Friedrich lange nach Mitternacht aus Karatschs Keller zurückgekommen war. Meret saß im Wohnzimmer und schaute einen lauten Western an. Während er erzählte, hatte sie ihn nicht einmal angesehen.
    In London, inschalla, was macht die denn da, hatte sie nur gefragt, aber den Ton vom Fernseher nicht leiser gestellt. Bedrohlich zogen auf dem Bildschirm Silhouetten von Indianern am Rand eines Canyons auf.
    Karatsch fährt wohl hin, hatte Friedrich gesagt.
    Wann?
    Sobald Jo zurück ist. Allein traut er sich nicht.
    Warum fliegt Karatsch nicht?
    Zu fliegen traut er sich auch nicht mehr.
    Inschalla, was für ein Mann, sagte Meret, und du, fährst du mit, Friedrich?
    Würdest du gern mitfahren?
    Würdet ihr denn eine ehemalige Würstchenbudentante nach London mitnehmen? Dass sich da unsere Vera mal nicht meiner schämt. Sie schaute ihn an. Hier ich, dort du, dazwischen Eiskruste, sagten ihre Augen.
    Mein Gott, ja. Meret hatte bis vor Kurzem noch ein anderes Leben, so wie er auch. Verwahrlost ist sie, hatten die Leute gesagt, als sie im letzten Jahr in die Stadt zurückgekommen war. Meret schenkte sich Wein nach. Auf dem Bildschirm schwirrten die ersten Pfeile gegen den Treck weißer Siedler am Fuß des Canyons.
    Weiß Karatsch mittlerweile, warum sie weggegangen ist?
    Ich glaub nicht, sagte Friedrich, so richtig weiß er es nicht.
    Und du, weißt du es? Ihr ward doch mal so.
    Sie setzte ihr Glas ab und schmiegte die linke Faust in ihre rechte Hand. Langsam drehte sie den Kopf weg, als hätte sie Angst, einen wesentlichen Gedanken in ihrem Hirn zu verschütten, wenn sie ihn länger ansah.
    Ihr doch auch, sagte Friedrich.
    Meret griff wieder nach dem Glas. Sie hatte bereits deutlich zu viel getrunken, also musste es schon sehr viel gewesen sein. Dabei war sie einmal ganz anders gewesen, war mit geschlossenen Füßen auf den Küchentisch gesprungen und hatte mit einem Geschirrtuch um die Hüften geknotet die Carmen gegeben. Hatte von Zigeunerliebe gesungen und

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