Wünsche
Friedrich ärgerte sich über sich selbst. Meret stand auf, ließ ihre Zigarette fallen, reckte und dehnte sich wie eine dösige Katze, strich das rote Kleid über dem Schoß glatt und ließ so dem Mann bei den Kletterrosen Zeit, zu ihr herüberzukommen. Als Nami Main ihr die Hand gab, sah sein schwarzes Jackett aus, als sei es ihm in den letzten Sekunden um die Schultern zu eng geworden.
Bald ist richtig Herbst, da verkaufe ich wieder Maronen.
Friedrich trat Merets Zigarette aus, die noch auf dem Kies glomm.
Oh Mann, sagte er.
Wenige Tage, bevor Friedrich in einem Internat verschwinden sollte, hatte Vera zu ihm gesagt, gemeinsam zu verschwinden ist eine Superidee. Sie hatte es selber schon einmal ausprobiert. Aber allein. Da war ich fünf oder so, hatte sie gesagt, und wir kannten uns noch nicht. Sonst hätte ich dich vielleicht mitgenommen. Ich habe mich an einem Samstag kurz nach dem Mittagessen mit meinem Dreirad aufgemacht. Ich bin die Straße zum Friedhof hinuntergefahren, danach ist der Fußballplatz gekommen, und hinter dem Fußballplatz hat ein hohes Haus aus Beton mit langen Fenstern ohne Glas gestanden, eine Bauruine. Hinter der Ruine faserte die Stadt aus. Eine letzte Siedlung habe ich auf meinem Dreirad durchquert, bis ich zur Autobahnbrücke kam. Dort habe ich einige Minuten gestanden und gewinkt, die meisten Fahrer haben fröhlich zurückgewinkt. Sie konnten ja nicht ahnen, dass dies ein Abschied sein sollte. Ich bin mehr als sechs Kilometer weit gefahren, ein Stück sogar auch über eine viel befahrene Umgehungsstraße, die an einem Fluss entlangführte, in den ich auch hätte hineinfallen können. Irgendwann bin ich nach links abgebogen, auf einen Bauernhof. Dort habe ich versucht, einen Platten am Hinterrad mit Grasbüscheln zu reparieren, und bin dabei erwischt worden. Der Bauer muss gemerkt haben, dass etwas nicht stimmte. Er hat mich zu seiner Tochter auf die Wippe gesetzt, dann auf sein Sofa in der Küche. Ich habe Wurstbrot gegessen und Die Kinder von Bullerbü geschaut, bis die Polizei kam. Ich bin damals sehr glücklich gewesen.
Vera hatte Friedrich angeschaut. Und jetzt sag du mir, wie komme ich in diesen Nachmittag wieder zurück? Mit dir?
Besser mit dem Rad vielleicht, hatte er damals vorgeschlagen.
Telefon! Hannes zeigte auf Friedrichs Schoß. Es war kurz nach Mitternacht. Glückwunsch noch zum Geburtstag, brüllte Karatsch in sein Ohr, nachdem Friedrich hektisch sein iPhone herausgekramt hatte, in der Hoffnung, es sei Annalisa.
Bis dann, sagte Hannes, hob die Hand, stand auf, offenbar ohne das Gespräch unterbrechen zu wollen, und verschwand.
Jetzt saß Friedrich auf seiner Bierkiste allein, und Karatsch redete auf ihn ein. Ja, sagte Friedrich, ja, ja, kann man so machen, gut, gut, gut. Beim Rondell tanzten die Gäste um die bronzene Frau herum wie um ein Goldenes Kalb. Erschöpfung kündigte sich an, aber verwandelte sich bereits in Rausch.
Auf der Rückfahrt nehmen wir Muscheln aus Dünkirchen mit, hörte er Karatsch mit fester Stimme sagen.
Wieso willst du eigentlich, dass ich mitfahre?
Karatsch murmelte irgendetwas, in dem das Wort alt vorkam.
Was?
Alte Verbundenheit, sagte Karatsch und klang verlegen, fast verletzt. Oder nenn es, wie du willst, mein Freund.
Oh Mann, wiederholte Friedrich leise und starrte auf die vielen Zigaretten im Kies vor ihm, oh Mann, aber er merkte, er freute sich.
Gegen zwei kam Meret zurück und trat an das Mikrofon, das Hannes neben dem verblühten Hibiskusbusch aufgebaut hatte. Sie klopfte dagegen. Aus den Boxen klopfte es zurück.
Hannes?, fragte sie leise in das Mikrofon.
Die letzten Gäste, die noch bei der Bronzefrau saßen, aber nicht mehr tanzten, hatten sie gehört und kamen näher. Hoffentlich jetzt nicht wieder Shakespeare, dachte Friedrich, als sie die Hände genauso auf den Rücken legte wie vor sechs Jahren bei ihrem großen Auftritt auf der Burg bei Blaufelden.
Für meinen Bruder, sagte sie, noch zum Geburtstag.
Sie sang: Words fall through me and always fool me and I can’t react .
Nicht schlecht, hörte Friedrich den alten Schneider sagen, und als sie fertig war, verbeugte Meret sich, als sei sie die einzige Frau der Welt, die jemals zu Recht eine Bühne betreten hätte.
4.
Ein Sommer in den Achtzigern. Meret hatte die Musik dabeigehabt.
Slime, Madness, Grauzone, Blondie und Einstürzende Neubauten. Sie fahren einfach drauflos. Jeder Umweg ist willkommen, wenn er nur vielversprechend ist. Friedrich kutschiert den
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