Wünsche
bis sie schließlich aufgestanden war, die Zahlenkombination eingegeben und ihre Handtasche mit einem Packen Bargeld gefüttert hatte. Da war Friedrich mit Karatsch und Veras Sohn bereits abgefahren, nach London. Ohne sie. Man hatte sie nicht einmal gefragt, ob sie mitwollte. Im Hinausgehen hatte sie noch das Blatt des Vortags mit dem Datum von Friedrichs Geburtstag vom Sparkassenkalender gerissen und zerknüllt. Dann hatte sie das doppelseitige Klebeband des Dekorateurs eingepackt und war mit ihrem alten roten Rad zur rosa Villa gefahren. Manchmal kam sie hierher, wenn sie schlecht geträumt hatte, manchmal, wenn sie sich über Friedrich geärgert hatte oder über Männer und Menschen an sich. Manchmal kam sie auch nur, um in einem verlassenen Haus, das in ihre Kindheit gehörte, nach dem Rechten zu sehen. Sie zähmte und goss den Garten, leerte die Mausefallen. Manchmal stand sie auch nur da, mit dem Rücken an die kleine Kellertür gelehnt, die ins Freie führte, und hörte ihr Herz schlagen. Sie zählte mit, was in ihrem Leben nicht war. So tauchte dann am Ende eines Nachmittags in einem Kellergang, der nach Äpfeln und früher roch, jene schwarze, unversöhnliche Einsamkeit auf, die eigentlich nur im All wohnt. Dann lehnte Meret da und meinte, es gebe sie schon nicht mehr. Es gebe sie nur noch für die anderen.
Sie ging zur Tür und schaute durch den Spion. Die Situation hatte sie sich selber eingebrockt, alles so gewünscht. Mit einem Ruck riss Meret die Tür auf. Da stand er und sah verschwitzt, verstockt und traurig aus. Manche Männer sind wie Radiergummis, andere wie Messer. Der hier war beides und deswegen auch ohne genauere Vorstellung davon, wie diese Begegnung jetzt oder die nächste Woche überhaupt oder der Rest des Lebens verliefen.
Meret zog Hannes ins Haus und schloss mit einem Fußtritt die Tür.
Ich habe einen Abend zu verschenken, Mann in grüner Jacke, sagte sie. Ich weiß, sagte Hannes und zog die DIN -A4-Blätter aus seinem Hosenbund. Ich hab hier gleich mehrere Einladungen.
Seine andere Hand hing groß und warm am Köper herunter. Meret hätte sie greifen können, über ihr Schamhaar, Taille, die Brüste bis zu den Schultern führen, die sehr gerade an den Schlüsselbeinen hingen. Sie könnte sie sich endlich auf den Kopf legen, diese große, warme Hand von Hannes.
Willst du einen Tee?
Nur wenn er grün ist. Hannes schaute abweisend auf sie herab, dann auf seine Jacke, die er über die Trainingshose geknotet hatte. Schon klar, eigentlich kann niemand sie richtig leiden. Männer mieden sie sogar, als sei sie ein benutztes Tempotuch, das unter einer Krankenhausheizung liegt. Nur Kneidl war anders gewesen. Er hatte ein großes Herz und noch größere Hände gehabt, mit denen er für sie die Nachttischlampe ausgeschaltet und nach der Liebe das Fenster geöffnet hatte.
Komm, sagte sie, komm mit nach oben. Hannes nickte, aber rührte sich nicht. Ja, sie musste nur noch ein wenig warten. Gleich würde er sie gegen die Wand drücken und hochheben. Sie würde ihr Gewicht spüren und zugleich, wie leicht sie war. Er würde sie höher schieben, an der Wand entlang, und noch höher, bis sie den Mund öffnete, das Herz. Sich. Er würde sich wenige Augenblicke später mit leicht gebeugten, leicht nach außen gedrehten Knien in den Moment hineinfallen lassen und nicht mehr genau wissen, was er sagte oder tat.
Tust du mir einen Gefallen, Meret?, sagte Hannes.
Sie lächelte: Ja?
Zieh dir was an, ja?
Er knotete die Ärmel seiner Jacke auf. Ein kurzer Mantel für sie, als sie hineinschlüpfte. Sie gingen nach oben. Die Handtasche, die noch an der untersten Stufe lehnte, nahm sie mit.
2.
Mit Tesa war der Handzettel an das Wartehäuschen gegenüber dem Krankenhaus geheftet gewesen: IMBISSBUDE KARL KNEIDL SUCHT AUSHILFE! Fahr hin, hatte Merets innere Stimme gesagt und es ausnahmsweise einmal gut mit ihr gemeint. Die Entlassungspapiere aus der Gynäkologie hatte sie in den Müll bei der Haltestelle geworfen und die Straße überquert. Das war vor zehn Jahren gewesen. Sie war nicht in ihre Sozialwohnung am Stadtrand von Kiel zurückgekehrt, wo aufgeplatzte Plastikmüllbeutel, durchnässte Kartons, aufgeweichte Zeitungen und eine Unzahl leerer Plastikflaschen vor ihrem Parterrefenster das Müllhaus zu sprengen drohten. Sie fuhr in die entgegengesetzte Richtung, zum Bahnhof, mit nichts in der Hand als einer gestreiften Polentasche voller Schmutzwäsche und zwölf vakuumverpackten Scheibletten vom
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