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Würde - Roman

Titel: Würde - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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ganz vergessen, wie lebendig das Leben auch untertags sein konnte, so viel Zeit hatte er in seinem versiegelten Büro verbracht.
    Abayomi gab ihm ein Zeichen, in eine kleine Straße einzubiegen. Auf beiden Seiten parkten Autos. Junge Männer fläzten sich im Inneren oder saßen auf den Kühlerhauben. Sie starrten dem teuren Wagen neugierig nach, als er an ihnen vorüberglitt.
    An einem Stoppschild, an dem Richard hielt, bemerkte er hinter sich eine Bewegung. Ein Polizeiwagen fuhr neben ihn und blieb auf Höhe des Seitenfensters stehen. Der Polizist musterte ihn und Abayomi aufmerksam, ohne die Scheibe herunterzulassen.
    »Warte.« Abayomi legte die Hand auf Richards Arm. »Die schauen nur.«
    Er ließ den Motor im Leerlauf und erwiderte lächelnd den Blick des Polizisten. Die Augen des Mannes wanderten langsam von Richard zu Abayomi und dann wieder zurück zu Richard. Schließlich verzog er abfällig den Mund und sagte etwas zu seinem Kollegen. Als das Auto mit quietschenden Reifen weiterfuhr,
fühlte sich Richard beschämt. Mein Gott, sie glauben, dass ich eine Prostituierte im Wagen habe, dachte er. Ihm wurde erst jetzt bewusst, wie Abayomi und er zusammen in dem teuren Auto wirken mussten.
    »Es ist egal, was sie denken, Richard«, sagte Abayomi, als könnte sie seine Gedanken lesen. »Vielleicht denken sie etwas Bestimmtes, vielleicht aber auch etwas ganz anderes. Letztlich ist es unwichtig, nicht wahr?«
    Ohne auf eine Antwort zu warten, bedeutete sie ihm weiterzufahren. Kurz darauf gelangten sie in eine breitere Straße mit kleinen Doppelhäusern auf der einen und Bungalows auf der anderen Seite. Nach einigen hundert Metern stießen sie auf zahlreiche geparkte Autos und Leute, die gerade ausstiegen.
    »Sieht nach einer ziemlich großen Feier aus«, meinte Richard und begann, sich nach einem passenden Parkplatz umzusehen.
    Auf dem Bürgersteig standen Gruppen von Männern, die lose fallende Hemden bis zu den Knien oder bestickte knöchellange Kleider mit V-Ausschnitt trugen. Viele hatten zudem weiße Kappen und weiße Hosen an. Die Männer begrüßten Abayomi auf das Herzlichste, sie küssten sie auf beide Wangen oder tätschelten ihr liebevoll den Kopf. Abayomis Laune schien sich schlagartig zu verbessern. Sie strahlte die Männer an und beantwortete ihre Fragen mit langgezogenen Vokalen und weit ausladenden Gesten. Einer der Männer wies mit dem Kopf auf Richard, und sie erwiderte etwas lachend auf Yoruba. Richard stand etwas abseits und wartete mit einem unbehaglichen Gefühl darauf, dass sich die allgemeine Heiterkeit legte.
    Schließlich winkte sie ihn heran. Ihr Lächeln war offen und unbeschwert. »Das ist mein Cousin Banyole«, sagte sie zu ihm. »Und das ein Freund - Richard. Er ist mitgekommen, um zu sehen, wie wir auf der schwarzen Seite der Welt so leben. Ich habe ihm ein Menschenopfer versprochen.«

    Der Mann gab ein tiefes Lachen von sich. »Sei willkommen, Richard«, sagte er und schüttelte ihm fest die Hand. Dann breitete er die Arme aus und lud die beiden ein, den kleinen Vorgarten zu betreten.
    Die Eingangstür des Hauses stand offen. Auf der Schwelle wartete eine alte Frau, die ihnen neugierig entgegenblickte. Ihre Haut war runzelig, wie in kleine Falten gelegt, die sich sanft aneinanderschmiegten. Doch ihre Augen strahlten in jugendlicher Freude. Als sie Abayomi erblickte, schnalzte sie fröhlich mit der Zunge. » O! O! Okeke« , gluckste sie, ehe sie auf Igbo loslegte. Die Worte schienen einander zu überholen, knirschend und klappernd wie ein Strom aus rollenden Glasmurmeln.
    Abayomi antwortete, indem sie sich vorbeugte und ihre Arme um die Frau schlang. Die beiden hielten sich lange fest, ohne sich zu rühren, die Augen geschlossen. Zum ersten Mal seit dem Beginn ihrer Bekanntschaft glaubte Richard, eine ganz und gar unverstellte Abayomi zu erleben. Er kam sich wie ein Eindringling vor und wich einige Schritte zurück. Da öffnete die alte Frau ihre Augen, deren Lider wie kleine Klappen hochgingen. Sie sah Richard an und zwinkerte ihm verschmitzt zu. Diese Geste verblüffte ihn derart, dass er nicht wusste, ob er lachen, wegschauen oder so tun sollte, als wäre die Geste für jemand anderen bestimmt gewesen.
    Die Frau löste sich von Abayomi und trat ihm mit ausgestreckten Armen, an denen Hautfalten schlaff herabhingen, entgegen. Abayomi sagte etwas auf Igbo. Richard hätte es gern verstanden, denn allein die Notwendigkeit, seine Anwesenheit zu rechtfertigen, verunsicherte ihn. Er konnte

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