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Würde - Roman

Titel: Würde - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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nur hoffen, dass sie ihn auch dieser Frau gegenüber als einen Freund vorstellte.
    Die Alte nickte und musterte Richard ungeniert von Kopf bis Fuß, als ob sie ihn zu kaufen plante. Sie sah ihn so neugierig an, dass er fast erwartete, sie würde ihn umrunden, um ihn von
allen Seiten zu betrachten. Doch stattdessen wandte sie sich wieder an Abayomi und teilte dieser ihr Urteil auf Igbo mit.
    »Tante!« Abayomis gespielte Empörung rief ein schelmisches Grinsen bei der Alten hervor.
    Richard lächelte, als ob ihm ein Kompliment gemacht worden wäre, und reichte der Frau die Hand. Ihre Haut fühlte sich weich und gepudert an, während ihre schmalen Finger überraschend energisch zudrückten. Er hatte angenommen, dass sie kein Englisch sprach. Doch als er Abayomi bitten wollte, zu übersetzen, wechselte sie ins Englische.
    »Sei willkommen in diesem Haus. Bitte komm herein und mach es dir bequem. Und weiche mir nicht von der Seite. Ich werde dich den ganzen Tag über nicht aus den Augen lassen. Eine alte Frau wie ich kann nur noch beobachten - nicht so wie unsere junge Schönheit hier, die gern wie ein Fohlen auf dem Felde tobt.«
    Abayomi warf etwas auf Igbo ein, aber die alte Frau achtete nicht auf sie, sondern tätschelte nur Richards Arm. »Lasst uns hineingehen, dann können wir anfangen.«
    Richard warf Abayomi einen fragenden Blick zu. Sie nickte, und er nahm den Arm der alten Matriarchin und betrat zusammen mit ihr das Haus.
    Das erste Zimmer war überraschend groß. Vermutlich diente es gewöhnlich als Wohnzimmer, doch jetzt waren außer einem Couchtisch in der Mitte alle Möbel hinausgeräumt worden. Der Raum war bereits voller Leute, die sich lebhaft in kleinen Gruppen unterhielten. Die alte Frau führte Richard durch die Menge. Sie musste niemanden beiseite drängen oder bitten, durchgelassen zu werden. Alle traten sogleich einen Schritt zurück, um ihr Platz zu machen, und sie marschierte dahin, als ob sie das Gedränge gar nicht bemerkte. Richard lächelte den Gästen zu. Viele erwiderten sein Lächeln, einige Männer begrüßten ihn höflich auf Englisch.

    Er drehte sich zur Tür, um zu sehen, ob Abayomi ihm folgte. Doch sie war in der Nähe des Eingangs stehen geblieben und bereits in ein Gespräch mit einer Frau vertieft. Die Frau hielt sich die Hand vor den Mund, während Abayomi lebhaft redete und immer wieder verzweifelt den Kopf schüttelte. Richard wäre am liebsten zu ihr gegangen. Er war enttäuscht, dass sie ihre Sorgen nicht mit ihm teilte. Doch in diesem Moment zupfte ihn die Alte wieder am Arm, und er wagte nicht, sich ihr zu entziehen.
    Auf der anderen Seite des Raums stellte ihn seine Begleiterin dem Vater des Neugeborenen vor. Mit seiner glatten Haut und seiner schlanken Gestalt wirkte er selbst noch wie ein Kind. Er begrüßte Richard mit einer leichten Verbeugung und umfasste dessen entgegengestreckte Hand mit beiden Händen. »Sei uns willkommen«, sagte er und verbeugte sich erneut.
    Richard, den die Ehrerweisung der Leute verunsicherte, verbeugte sich ebenfalls zaghaft. Ehe er den jungen Mann jedoch in ein Gespräch verwickeln konnte, wurde er von der Alten weiter ins Haus gezogen. Sie führte ihn durch einen kurzen Flur in die Küche. Dort erfüllten fremde Gerüche die Luft, eine festliche Mischung aus würzigen Düften. Er atmete tief ein, als könnte er die verschiedenen Aromen schmecken.
    Für einen Moment gelang es ihm, sich zu entspannen und den Augenblick zu genießen. In der Küche stellte ihm seine Begleiterin einen aufwändig gekleideten Mann vor. Mehrere Schichten aus einem üppig bestickten weißen Stoff waren um seinen Hals und über seinen Kopf gelegt.
    »Guten Tag, Sir«, begrüßte er Richard. »Ich bin Babatunde, der Pastor. Seien Sie willkommen in diesem Haus. Bitte lassen Sie es sich gut gehen.«
    Sein Gesicht war noch jung, doch seine Haltung spiegelte bereits die eines älteren, würdigen Herrn wider. Richard reagierte auf offizielle Vertreter jeglicher Religion meist misstrauisch.
Doch die herzliche Art dieses Mannes entwaffnete ihn, und sein üblicher Zynismus verschwand.
    »Vielen Dank«, erwiderte Richard und versuchte, sich der würdevollen Ausstrahlung des Mannes anzupassen. »Ich … Ich fühle mich bereits sehr willkommen geheißen. Es ist mir eine große Ehre, heute hier sein zu dürfen.« Er konnte kaum glauben, diese Worte - so förmlich, so aufrichtig - aus seinem eigenen Mund zu vernehmen.
    Der Pastor schien sich über die Antwort zu freuen. Er

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