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Wuestenmond

Wuestenmond

Titel: Wuestenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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mit beiden Händen fest, spürte eine leichte Übelkeit. Alles war verschwommen: Traumfetzen. Irgendwo aus der Dämmerung kam ein leises Geräusch. Ich lauschte. Da – schon wieder! Es klang wie das Rascheln trockener Blätter. Schicht um Schicht kehrte ich in die Wirklichkeit zurück. Ungeschickt tastete ich nach dem Lichtschalter, schob die Beine über den Bettrand. Das Geräusch kam vom Fenster. Ich stieß an einen Stuhl, strich mein Haar aus dem Gesicht. Ein paar Atemzüge lang war alles still.
    Plötzlich huschte ein winziger Schatten über die Wand. Eine Eidechse! Mein Herz tat einen Sprung. Ich starrte die Eidechse an, suchte nach einer vernünftigen Erklärung. Gestern abend hatte ich zuviel geraucht und später eine Zeitlang gelüftet: Das Tier war offenbar vor der Kälte in den warmen Raum geflohen. Ich öffnete das Fenster. Der Regen hatte nachgelassen; die Mülltonnen wurden geleert, die ersten Lastwagen fuhren. Die Eidechse rührte sich nicht.
    Behutsam betrachtete ich sie, sah das Pochen ihrer dünnen Flanken.
    »Na, geh schon!« murmelte ich.
    Und als ob sie nur darauf gewartet hatte, daß ich sprach, glitt die Eidechse mit einem Ruck die Wand empor. Wild zappelnd, sich krümmend, warf sie sich über die Fensterbank. Dann rutschte sie abwärts, die Mauer entlang, und fiel zwischen die Dachziegel. Weg war sie! Ich schloß das Fenster, verschränkte fröstelnd die Arme.
    Ich fühlte eine Art Schock; eine Erinnerung tauchte auf; die Erinnerung an eine Geschichte, die mir Elias erzählt hatte. Ein Zufall nur? Ich hätte es gerne geglaubt, aber ich wußte es besser. Ich ging ins Bad, zog mir das T-Shirt über den Kopf, regulierte das aus der Brause strömende Wasser, ließ den scharfen Strahl auf Schultern und Rücken prasseln. Ich drehte das Wasser ab, und als ich mich mit allmählich beruhigtem Atem abtrocknete, fühlte ich mich ausgeruht und stark. Der Traum war zerronnen. Warum hinterließ er weder Kummer noch Furcht? Im Bad, zwischen blauen und weißen Kacheln, sah ich mein Gesicht im Spiegel: leuchtendes Haar, straffe Haut, blitzende Augen. Was bedeutet es, wenn wir vom Tod träumen? Vielleicht, daß wir neu geboren werden.
    Ich zog vor dem Spiegel die ganz neue, ganz weiße Wäsche an, 244
    schlüpfte in einen bequemen Pullover und in eine weite Hose mit Gummizug: nichts, das mich beschwerte, nichts, das mich einengte.
    Leise vor mich hin summend ging ich in die Küche, machte die Kaffeemaschine an, suchte den Nachrichtensender im Radio. Fünf Uhr. Um neun ging mein Flug nach Algier.
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24. Kapitel
    A uch in Algier war es windig und kalt. Wolken trieben am Himmel, die Eukalyptusbäume rund um den Flugplatz wirbelten heftig. In der großen Wartehalle hing ein Geruch von Treibstoff, Rasierwasser und kaltem Rauch. Familien lagerten in Gruppen auf den Bänken, die Frauen verschleiert zumeist, wie dicke, in Tüchern eingewickelte Pakete. Die heiße Luft trocknete meine Kehle aus. An der chromglänzenden Bar mit den großen Plastikbehältern voll sprudelndem Orangensaft saßen nur Männer, rauchten, lasen Zeitung. Ich setzte mich auf einen Hocker, bestellte Orangensaft.
    Sofort starrten mich alle an, und ich schämte mich für sie. Duldete ich solche Blicke, blamierte ich mich vor mir selber. Ich leistete mir einen kräftigen Schub Adrenalin. Suchten diese Gockel den Kampf, so konnten sie ihn haben! Ich reckte das Kinn, erwiderte kalt jeden Blick, legte meinen ganzen Hochmut in diese Konfrontation, bis die Männer das Gesicht zur Seite drehten. Das befriedigte mich; sie besaßen offenbar Spürsinn und mehr Verstand, als ich geglaubt hatte. Mein Zorn verflüchtigte sich. Ich trank ruhig meinen Orangensaft, und bei jedem Augenpaar, das sich abwandte, genoß ich einen kleinen Sieg. Zwischenlandung: Langeweile, Unruhe, verlorene Zeit. Polizisten, in Uniform oder in Zivil, wanderten durch die Halle. Ich konnte die Spannung und Bedrohung spüren, die in der Luft hingen, eine subtilere Gefahr als irgendeine ausgesprochene Drohung. Durch die Scheiben sah ich, wie die großen Maschinen über das Flugfeld rollten; eine nach der anderen schwang sich mit donnerndem Pfeifen in den Himmel. Eine Gruppe älterer bärtiger Männer, eingehüllt in hellbraune Wolle, stand an den Fenstern.
    Endlich startete die Maschine nach Tarn; über den Flugplatz zogen scharfe Windstöße. Ich sah aus dem Fenster; die Startbahn, auf der große Pfützen schimmerten, glitt immer schneller unter mir davon.
    Das Flugzeug hob ab; es

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