Wuestenmond
ich werde dasein. Denk bitte daran, mir eine Liste von den Dingen zu machen, die er haben will. Von hier aus kann ich das schlecht beurteilen.«
»Ich… ich suche eine Erklärung.«
»Zeitverschwendung.«
»Nein, Olivia. Es hat etwas mit mir zu tun. Mit meinem Film.«
»Das stimmt. Der Film hat etwas in mir bewirkt. Er hat alte Gefühle in mir wachgerufen.«
»Welche Gefühle?«
Ihr Mund zeigte den Anflug eines Lächelns.
»Sagen wir mal, ich habe den Zauber der Wüste wieder erleben können, wenn auch aus zweiter Hand.«
»Die Wüste hat sich verändert.«
»Das brauchst du mir nicht zu sagen. Die Sahara verändert sich, wie wir uns verändern. Aber letztlich sind wir doch die gleichen, ähnlich genug, daß wir uns wiedererkennen.«
Ich sagte nichts. Olivia fuhr fort:
»Wie dem auch sei, ich komme. Ich habe es gerade beschlossen. So ist es nun mal.«
Welch tiefe, starke Wurzeln hatte ihre Einsamkeit entstehen lassen, diese Enthaltung, die nach innen gärte und neue Kräfte schuf? Ich gab zu bedenken:
»Und wenn man dir Scherereien macht?«
»Glaub ich nicht.«
»Warum nicht?«
»Weil ich alt bin. Außerdem sitzt in unserer Familie jeder mal im Knast. Aber bis dahin habe ich den Kindern vielleicht etwas beigebracht.«
»Das ist schon richtig«, sagte ich matt.
Olivia strich sich die Haare aus der Stirn, wobei sie leise lachte. Sie war nicht mehr die gleiche, sie hatte sich verändert. Sie sah müde 237
aus, aber amüsiert, wie eine Frau, die lange in der Ferne etwas gesucht und es endlich gefunden hat. Und was hätte ich ihr sagen können, jetzt, da sie es gefunden hatte? Hätte ich ihr einfach sagen sollen, daß ich stolz auf sie war?
»Was wirst du inzwischen tun?« fragte ich nach einer Weile.
»Meine Bronchien pflegen. Kräfte sammeln. Und Vokabeln büffeln.
Mein ganzes Tifinagh steckt in alten Schulheften. Ich muß üben.«
»Und wirst du jetzt schlafen?«
Sie nickte, mit einem kleinen weichen Lächeln in den Mundwinkeln.
»Ich werde gut schlafen«, sagte sie.
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23. Kapitel
F antine gefiel meine Dokumentation. Vielleicht hatte ich nicht den Film gemacht, den ich machen wollte. Aber dadurch, daß ich viele Bilder wie eine Innenwelt sah, hatte der Film seine eigene Geschichte gewonnen. »Intellektuelle ertragen es nicht, durchschaut zu werden«, meinte Fantine. »Sie fliehen aus der Wirklichkeit in die Abstraktion. Du bringst das nicht fertig.«
»Nein. Ich fliehe aus der Wirklichkeit in die Illusion.«
Fantine wippte mit ihrem schwarzbeschuhten Fuß.
»Du bist eine Romantikerin. Die Mehrheit liebt den Mainstream, aber es kommt vor, daß sich Originalität durchsetzt. Deine Schlucht ist unwiderstehlich.«
»Kein irrealer Anachronismus?«
»Haarscharf daneben, aber ich gehe darauf ein. Die Felsmalereien sind so alt, daß sie schon wieder Neuigkeitswert haben.«
»Und die Molche?«
»Zuerst mußte ich an J urassic Park denken. Die Art, wie du sie gefilmt hast, verstehst du? Aber sie lösen Emotionen aus, und der symbolische Wert ist groß. Wir werden sie also zeigen.«
»Ich danke dir.«
»Keine Ursache. Ich bringe nur das, was ankommt.«
Ich nickte, und sie fuhr fort:
»Also gut. Bis Arte den Film sendet, wollen wir die Presse anheizen.
Ein Dokumentarfilm ist keine Soap-Opera, tut mir leid. Und wir haben nicht Depardieu, bloß einen verschleierten Mann. Ich muß also ein bißchen Theater veranstalten. Haben wir Glück, schickt National Geographie eine Equipe. Was Expeditionsberichte betrifft, ist Match immer noch recht gut. Ich werde auch VSD mobilisieren.
Der Herausgeber liebt die Wüste und ist mehrmals mit Thierry Sabine die Rallyestrecke Paris-Dakar gefahren. Das macht uns die Sache leicht.«
Ich verzog das Gesicht. Sie grinste.
»Keine Rosen ohne Dornen. Zeitschriften bringen das Interesse der Leser nur mit Sensationen auf Trab. Wenn sie dein Thema bringen, tun sie uns einen Gefallen.«
Als Produzentin leistete sich Fantine das Recht auf behaglichen Zynismus – alles schon dagewesen, kein Grund zur Aufregung.
»Gut«, seufzte ich. »Aber wie kriege ich die UNESCO?«
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»Am besten durch Beziehungen. Jede Fachwelt ist ein geschlossener Kreis. Ich kann das für dich in die Wege leiten.«
Sie nannte Namen, die mich aufhorchen ließen. Es waren Namen von Afrikakennern, Politikern und wichtigen Beamten am Quai d’Orsay. Dazu kamen Leute vom Fernmeldewesen und Verantwortliche vom Musée de l’Homme, die sich nach der blutigen Unterdrückung der Nomaden Anfang
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