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Wuestenmond

Wuestenmond

Titel: Wuestenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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knackte in meinem Trommelfell. Ich schluckte, preßte beide Hände an die Kiefer. Die Maschine wurde heftig geschüttelt und flog unruhig. Ich bin abgereist, dachte ich, leicht benommen. Es ist wirklich wahr: Elias wartete auf mich. Ich sah sein Gesicht vor meinem inneren Auge; ein Gesicht von strenger Schönheit, ernst bis zur Schwermut und doch von Leben erfüllt; ein Gesicht aus jenen Tagen, da die Tuareg noch frei waren. Mit einem Mal wurde ich ruhig. Elias und ich lebten in verschiedenen Welten.
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    Vielleicht konnten wir diese zwei Welten in Einklang bringen. Ich mußte mir eingestehen, daß mich eine seltsame Fügung hergeführt hatte. Ich blickte noch nicht durch, mit der Zeit jedoch würde ich klarer sehen. Jahrelang war ich auf Olivia eifersüchtig gewesen, weil sie fremde Dinge wußte und diese für sich behielt. Doch Olivias Welt war kein Wunschtraum, sondern vollkommen real. Sie hatte vor mir eine Pforte durchschritten; sie hütete die Erinnerung und gab mir erst jetzt den Weg frei. Ihre Wahrheit war nicht unerreichbar für mich, ich kam ihr sogar sehr nahe. Ja, mein Leben verwandelte sich, und die Neugierde wuchs.
    Die Maschine überflog die letzten Wolkenfelder, der Himmel wurde klar und blau. Im Flugzeug streikte die Klimaanlage, die Sonne schien prall durch die Scheiben, bald wurde es erstickend heiß. Ich fühlte einen Druck auf dem Herzen und gleichzeitig auch eine merkwürdige Leichtigkeit, als ob sich sämtliche Fäden, die mich mit meinem bisherigen Leben verbanden, plötzlich gelöst hätten. Ich wandte das Gesicht von der Sonne ab, schloß die Augen. Der Schlaf stellte sich fast von selbst ein. Ich wachte auf, als sich das Grün der Landschaft in Ocker, dann in Grau verwandelte und beim Überfliegen des Djebel Amur in Gelb überging: die Sahara!
    Wieder vergingen Stunden. Flugreisen verändern unsere Beziehungen zu Raum und Zeit; nun würde ich neue Erfahrungen sammeln und am Ende vielleicht erkennen, wie viele Erfahrungen ich besaß und wie viele Leben ich bisher gelebt hatte. Ich hatte kein Bedürfnis, die Tagträume, in denen ich mich immer wieder verlor, beiseite zu schieben. Die Träume waren wesentlich, ich wollte nicht darauf verzichten. Sie waren außergewöhnlich genau und farbig, ich hatte mich immer bis in die kleinsten Einzelheiten an sie erinnern können. Ich wünschte mir, ich könnte meine Träume filmen, sie auf einer Leinwand zeigen; ein Film, den ich allerdings nie den Blicken eines Publikums aussetzen würde, ein Film ganz alleine für mich.
    Eine objektive Darstellung des Unbewußten gewissermaßen. Das wäre doch etwas!
    Das Brummen des Motors machte mich benommen. Wieder döste ich, bis ich tief einschlief und erst dann erwachte, als die Maschine zur Landung in Tarn ansetzte. Es wurde Abend, die Berge schimmerten in allen Farbabstufungen, leuchtend rote und rosa und violette Gipfel. Ein kupferner Schimmer lag über allem, selbst über den Schatten. Als Teil dieser Erde hatten die Berge seit Jahrmillionen ihr Felsenleben gelebt; jeder erzählte eine Geschichte, 247
    jeder trug ein eigenes Muster. Die Adern ausgetrockneter Wasserläufe flossen wie Handlinien, durchliefen die Täler nach allen Seiten, bevor sie am Horizont zu dünnen Streifen wurden, die das Auge verlor. Und darüber der Himmel, grenzenlos und so blau, daß er fast grünlich schimmerte.
    »Ja, ich bin hier«, sagte ich leise zu den Bergen, zum Himmel, zu mir selbst.
    Das Flugzeug setzte ruhig auf, verminderte seine Geschwindigkeit.
    Abermals das taube Gefühl in den Ohren; ich schluckte ein paarmal, bis die Geräusche wieder deutlich wurden. Die Maschine drehte leicht beim Abrollen, blieb auf der gelbschimmernden Piste stehen.
    Ich schnallte mich ab, tastete nach meiner Reisetasche und ließ mich von einer Gruppe Asiaten zum Ausgang drängen. Ein Zimmer hatte ich nicht reserviert; sollte Elias meine Mitteilung nicht erhalten haben, konnte ich bei Zara wohnen. Erwartungsvoll, aber nicht übermäßig aufgeregt, stolperte ich im sandigen Wind die unter den vielen Schritten scheppernde Gangway hinunter. Sandkörnchen trafen schmerzhaft meine Augen; ich hielt mich am Geländer fest, bis meine Füße den Boden ertasteten.
    Noch ein paar Schritte, dann befand ich mich in der Flughafenhalle.
    Das fahle Neonlicht blendete mich; durch die Paßkontrolle wurde ich mit den anderen Fluggästen zur Kofferausgabe und zum Ausgang geschoben. Ich stellte meine Tasche ab, zog den Parka an. Als ich mich bückte und meine

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