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Wuestenmond

Wuestenmond

Titel: Wuestenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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Mittelmäßigkeit liegt mir nicht. Ich will meine Seele nicht ruinieren und eine Show abziehen. Die Geige fühlt, wenn man sie lächerlich macht, und rächt sich früher oder später.«
    Ihre Erklärungen sagten mir damals wenig; allenfalls fand ich sie absurd. Einmal gestand sie mir: »Es tut mir leid, Tamara, ich habe versagt.« Das war schon klarer. Was in ihr wirklich vorging, konnte ich nicht sagen. Sie war auf eine geradezu irritierende Weise verschlossen.
    Ich hatte ein paar Unterlagen mitgenommen und wollte mir auf der Fahrt nach Brüssel Notizen machen. Daraus wurde nichts. Der Aufruhr in meinem Kopf machte mich unfähig dazu. Etwas erwartete mich, etwas, das mich liebte und nach mir verlangte. Seit langem…
    seit jeher. Es war, als suchte ich mich selbst. In mir regte sich die Gewißheit: Du stehst deiner nicht gelebten Vergangenheit gegenüber, du hast Erfahrungen zu machen. Die Welt wird sich verändern für dich. Oder bist du es, die sich verändern wird?
    Vielleicht konnte ich mit Olivia darüber sprechen.
    Brüssel, Gare du Midi; die langen Straßen, die Unterführungen. Ich schulterte meine Tasche, stieg in die U-Bahn. Nach zehn Minuten hatte ich das Stadtzentrum verlassen, erreichte die Chaussee de Ninove. Das Haus, in dem meine Mutter drei Zimmer bewohnte, lag in einer Querstraße. Das zweistöckige Reihenhaus stammte aus den fünfziger Jahren und sah wie alle anderen aus: dunkle Backsteine, dunkle Ziegel. Die Fenster waren klein und weiß eingefaßt. Jedes Haus verfügte über einen ummauerten Hinterhof mit einem Stück Rasen, ein paar Blumentöpfen und einer Teppichstange, an der ich als Kind zu turnen pflegte. Es war durchaus kein schlechtes Viertel, aber ein enges; alles schien begrenzt. Ich fragte mich, wie es mein Vater empfunden hatte, hier zu wohnen, er, der soviel Licht und Weite gewohnt war.
    Ich drückte auf den Klingelknopf, löste ein fernes, schepperndes Geräusch aus. Eine Weile war es still, dann sprang die Tür auf. Ich ging die enge Treppe bis zum ersten Stock hinauf. Die Treppe war 29
    gebohnert; ein abgeschabter Läufer bedeckte die Stufen. Oben war die Tür angelehnt; Geigenmusik drang nach draußen. Ich zog meine Stiefel aus, stellte sie drinnen im Flur ab, bevor ich die Tür schloß.
    Auch hier roch es nach Bohnerwachs. Durch die offene Tür sah ich einen kleinen Jungen vor einem Notenpult stehen. Olivia saß in einem Korbstuhl und hörte ihm zu. Der junge wandte mir ein erhitztes Gesicht zu, deutete etwas verwirrt einen Gruß an. Ich lächelte.
    »Laß dich von mir nicht stören.«
    »Wir sind gleich fertig«, sagte Olivia. »In der Küche steht Kuchen.
    Und ich habe Kaffee aufgesetzt.«
    Ich ließ meine Tasche von der Schulter gleiten und ging in die Küche, wo es nach Kaffee duftete. Ich wusch mir die Hände über dem Spülbecken, füllte eine Tasse und holte Milch aus dem kleinen Kühlschrank. Auf dem Tisch standen Apfeltaschen mit Zimt. Olivia hatte nicht vergessen, daß ich dieses Gebäck mochte. Der kleine Schüler übte Brahms, die vierte Violinsonate, er spielte volltönend und selbstsicher. Nicht schlecht für einen Jungen seines Alters. Ich saß auf einem Küchenstuhl, aß mit klebrigen Fingern eine Apfeltasche. Die Oktobersonne hatte noch Kraft. Ich sah den Schatten des Jungen, der sich auf dem hellen Vorhang am Fenster abzeichnete. In der kleinen Küche gab es einen altmodischen Schrank, einen alten Gasherd, keine Spülmaschine. Die Fliesen über dem Waschbecken waren zersprungen, der Wasserhahn tropfte, und auf dem Tisch lag ein Wachstuch. Alles war pingelig sauber und aufgeräumt. Bei Olivia hieß es: Jede Sache an ihrem Platz, und keinen Zentimeter daneben. War sie früher auch so gewesen? Ich wußte es nicht mehr.
    Die Musik brach ab. Ich hörte Olivia eine Zeitlang leise mit dem Jungen sprechen. An seinem Schatten sah ich, wie er die Geige sorgfältig in den Kasten legte, den Deckel schloß. Ich vernahm das feine Schnappen des Metallschlosses. Dann trat Olivia, gefolgt von dem Jungen, aus dem Zimmer.
    »Möchtest du eine Apfeltasche?« fragte sie ihn freundlich.
    Der Junge verneinte; seine Mutter würde jede Minute mit dem Wagen kommen; er sollte an der Kreuzung auf sie warten. Er verabschiedete sich und ging; seine Manieren waren höflich und selbstbewußt.
    »Er ist gut«, sagte ich.
    Sie nickte.
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    »Er heißt Simon. Ich unterrichte ihn nur noch bis zum Jahresende.«
    Ich wischte mir die Krümel aus dem Mundwinkel.
    »Warum?«
    »In zwei Jahren kommt er

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