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Wuestenmond

Wuestenmond

Titel: Wuestenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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auf die Musikhochschule. Und bis dahin braucht er bessere Lehrer.«
    Sie goß sich Kaffee ein, setzte sich mir gegenüber. Meine Mutter war kleiner als ich, zart, schmal, knabenhaft. Ihr aschblondes Haar durchzogen graue Strähnen. Ihre großen Augen hatten die Farbe eines seltenen, dunklen Topas. Sie waren von einem schönen Glanz, und ich erkannte plötzlich, wie sehr dagegen ihr Gesicht gealtert war.
    Falten durchzogen die Wangen, verloren sich in den Mundwinkeln.
    Es schien, als ob ich zwei verschiedene Frauen betrachtete. Die eine hatte junge Augen, die andere ein altes Gesicht.
    Olivia trug eine blaue Hemdbluse, eine Hose aus Cordsamt. Sie sah nicht ungepflegt aus; es war nur, als ob ihre eigene Erscheinung sie gleichgültig ließ.
    »Du siehst müde aus, Tammy.«
    Sie redete mich mit dem Kosenamen aus meiner Kindheit an. Meine Mutter war die einzige, die mich so nannte. Ich lachte ein wenig.
    »Ich fühle mich alles andere als entspannt. Filmemachen ist anstrengend.«
    Sie rührte Zucker in ihren Kaffee.
    »Und jetzt gehst du also nach Algerien.«
    »Ich hätte schon früher gehen sollen.«
    Sie schaute mir in die Augen.
    »Früher wäre zu früh gewesen.«
    Ich seufzte irritiert.
    »Was willst du damit sagen?«
    »Du hattest anderes im Kopf. Da, nimm noch Kuchen.«
    Ich nahm eine zweite Apfeltasche, biß gedankenlos hinein.
    »Und jetzt glaubst du, daß es an der Zeit ist, meine Großmutter zu besuchen? Wenn sie noch lebt…«
    »Zara? Ich weiß nichts davon, daß sie gestorben ist.«
    Ich starrte sie an.
    »Stehst du noch mit ihr in Verbindung?«
    »Mit ihr persönlich nicht. Französisch spricht sie gut, aber sie kann es nicht schreiben. Die Briefe sind von einem Enkelsohn.«
    »Kann ich sie mal sehen?«
    Ihr Ausdruck blieb unbewegt.
    »Da steht nichts Besonderes. Daß es ihr gut geht, weiter nichts. Die 31
    Briefe sind irgendwo. Ich müßte sie suchen.«
    Ich glaubte ihr nicht. Ihr Ordnungssinn war übertrieben, fast krankhaft. Und häufig log sie, wenn jemand an ihr Innerstes zu rühren versuchte. Woran lag das? An ihrem Schmerz, dachte ich. An der Angst, daß sie ihren Schmerz nicht würde kontrollieren können, vielleicht nur daran. Doch diesmal mußte ich ihr Schweigen brechen.
    »Du hast mir zu wenig erzählt«, sagte ich. »Meine Vorstellung von Afrika ist ziemlich kläglich.«
    Sie nickte.
    »Du hattest andere Interessen. Und als du Henri geheiratet hast, wurde die Sache nicht besser.«
    Ich gab mich geschlagen. Sie kannte mich zu gut. Mit Henri hatte ich kaum über meine Herkunft gesprochen; in seinen Kreisen wäre es für mich nicht nützlich oder sogar schädlich gewesen. Die Schwiegereltern wollten so wenig wie möglich davon wissen. Noch heute glaubte ich, aus meinem Innern die Stimme der Schwiegermutter zu hören: »Ich habe nie Araber gekannt, die nicht irgendwie krumme Sachen gemacht hätten. Sie wenden ihre Tricks an, das liegt ihnen einfach im Blut.« Zu sagen, daß die Tuareg keine Araber waren, hatte ich kaum in Betracht gezogen. Wen interessierte das schon?
    »Also gut. Sagen wir mal, ich wollte mich nicht belasten.«
    »Diese Einstellung hat dich nicht unbedingt weitergebracht.«
    »Sicher nicht. Es tut mir leid.«
    Das Zugeständnis gefiel ihr. Sie deutete ein Lächeln an.
    »Ich nehme an, du hast dich ein wenig gelangweilt.«
    »Das kam noch hinzu«, sagte ich.
    Sie stand auf und holte sich frischen Kaffee.
    »Nun?« fragte sie und setzte sich wieder.
    Ich holte tief Luft.
    »Mein Vater, was war er eigentlich für ein Mensch?«
    Ein Zucken ging über ihr Gesicht. Ihre Stimme, auf einmal ohne Schwingung, ohne Resonanz, glich eher einem müden Flüstern.
    »Du kannst nicht wissen, wie zärtlich er war. Und jetzt ist er tot.
    Schon dreißig Jahre lang. Die Erde dreht sich weiter, alles ist wie immer, als hätte er nie gelebt. Das ist seltsam, findest du nicht auch, Tammy? Ein Mensch wird geboren, wächst heran, er wird zu dem, was er ist. Und wenn er gestorben ist, ändert sich nichts. Das Leben geht weiter, von Jahreszeit zu Jahreszeit. Ich habe Chenani geliebt, ich hatte das Privileg, eine kurze Strecke meines Weges mit ihm 32
    gemeinsam zu gehen. Manchmal denke ich, vielleicht wäre es besser gewesen, wenn ich ihn nie getroffen hätte. Vielleicht wäre er dann noch am Leben? Er starb und hinterließ keine Spur, nur ein paar Steine…«
    Ihre trockenen Lippen zitterten. Sie preßte die Hände fest zusammen.
    Ich schluckte und sagte:
    »Du kannst nichts dafür, Olivia. Er war

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