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Wuestenmond

Wuestenmond

Titel: Wuestenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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er verstand es auf geheimnisvolle Art, mich zu beruhigen. Er führte mich zu einer befreienden Entspannung, zu einem besseren Verstehen der inneren Bereitschaft, zu einer Selbstentfaltung, die den Geist von allem Unwesentlichen reinigt. Von einem fernen Uranfang her hatte sich die Geschichte der Tuareg geformt; früher mochte es das Meer gewesen sein, später war es die Wüste, die ihr ein besonderes Gepräge verlieh. In diesem Land, das seit langem zeitlos geworden war, in einer Umgebung, die aus Vergangenheit und Gegenwart zugleich bestand, waren alle Linien nur fließend. Und ich hatte die Wahl; es gab viele Brücken. Nachts, wenn das Lagerfeuer ausglühte und Kälte aufkam, lagen wir im Schlaf sack, betrachteten den Himmel, und Elias erzählte von den Sternen.
    »Die Sternbilder haben eine Sprache. Wir Menschen versuchen sie zu erlernen. Ich weiß nicht, ob uns das je gelingen wird, das Universum ist so ein großes Rätsel! Und weil wir die Sterne nicht verstehen können, geben wir ihnen Namen. Der Riese Orion, den wir Amenagh – den Herrscher – nennen, hat seine Takuba, sein Schwert, umgegürtet. Siehst du, wie er über den Himmel wandert? Er ist der Sohn des Meeresgottes; sein Pferd sprengt durch die Sternennebel, sein Schild zeichnet eine geschwungene Linie. Die Schilder unserer Krieger waren dieser Form nachempfunden. Und dort leuchtet die weise Mutter mit ihren sechs schönen Töchtern, die Plejaden. Sie lassen das Getreide wachsen. Leuchten sie klar am Frühlingshimmel, wird das Erntejahr gut. Der Mutter geben wir den Namen Temmenu, der wesentliche Stein. Unsere Vorfahren glaubten, daß aus ihr die Menschheit geboren wurde.«
    Woher, fragte ich mich, nahmen die Tuareg diese Vorstellungen?
    Mythen und Legenden entstammten einem Wissen, das nahezu vergessen war, das wohl kaum etwas wirklich Nachprüfbares hinterlassen würde. Die Tuareg lebten von der Erinnerung an eine phantastische Zeit, ihre Vergangenheit glich einem Buch, von dem eine Anzahl Seiten verbrannt oder zerrissen waren. Das Buch gab Rätsel auf – und es lieferte keinen Schlüssel.
    Elias fuhr fort:
    »Uns wird gesagt, daß jeder Mensch drei Sterne hat: einen für die 309
    Geburt, einen für das Leben, und einen für den Tod.«
    »Kennst du den Namen deiner Sterne?«
    »Nein. Ich könnte es von Amenena erfahren. Aber ich bitte sie nicht darum; es ist besser, die Namen nicht zu kennen. Es gibt Sterne, die Unglück bringen. Wir brauchen viel Kraft für das Leben. Unsere Seele könnte beunruhigt sein.«
    »Ich verstehe.«
    »Wir haben so vieles vergessen«, sagte Elias. »So glaubten unsere Ahnen zum Beispiel, daß die Plejaden Kranke heilen konnten. In einer mondlosen Nacht, wenn die ›Weise Mutter‹ leuchtete, verließen die Kranken ihr Lager. Sie legten sich abseits der Zelte auf eine Matte aus Pflanzenfasern und überließen sich dem Sternenlicht.«
    »Und wurden sie geheilt?«
    »Bei Tagesanbruch«, erzählte Elias, »war das Fieber gefallen. Sie kehrten gesund ins Lager zurück. So hat es mir meine Mutter erzählt.«
    »Glaubst du daran?«
    »Ich denke, daß die Kranken an ihre Genesung glaubten.«
    »Autosuggestion?«
    »Ja, warum nicht? Und was das andere betrifft, wer weiß?«
    »Ja, wer weiß?« wiederholte ich. Der modernen Wissenschaft war das Wirken der psychischen Kräfte auf den Organismus längst bekannt. Einst waren wir fähig, diesen Vorgang der Selbstheilung in uns auszulösen. Heute schlucken wir lieber Antibiotika. Immerhin war die Forschung weit fortgeschritten, und die Ergebnisse konnten sich sehen lassen. Das eben war unsere Zeitepoche, die Fäden zur unsichtbaren Welt waren zerrissen.
    »Und der große Wagen?« fragte ich.
    »Wir nennen das Sternbild die große Kamelstute und ihr Fohlen. Sie wandern über die Himmelsmitte und tragen das Schicksal der Welt.
    Eine Legende sagt, wenn sich das Fohlen der Kamelstute nähert, erlöschen alle Sternbilder. Dann naht das Ende der Zeiten.«
    »Eines Tages muß das ja alles mal aufhören.«
    Er rieb sein Gesicht an meinem Hals.
    »Aber nicht jetzt. Lieber erst später, wenn wir alt und grau sind.
    Unser Leben ist nur kurz. Es gibt so viele Dinge im Himmel und auf Erden, von denen wir keine Vorstellung haben. Deswegen denken wir uns Märchen aus. Wir Tuareg sagen, die Milchstraße ist der große Himmelsstrom, der zwei Liebende trennt. Wega, aus dem 310
    Sternbild der Leier, liebt Altair, den Sohn des Adlers. Doch ihr Schicksal ist es, sich nur einmal im Jahr, wenn beide

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