Wuestenmond
Dünen lösten sich Sandnebel. Die Körner wehten mit rasender Geschwindigkeit herbei, fegten hinter den Füßen der Kamele her, überfluteten den Boden.
Eine dichte Staubschicht legte sich auf die Scherben; es war, als ob sie Olivias Erinnerungen für immer unter dem Sand begraben würden.
302
29. Kapitel
D ie Sonne sank, die Hitze wurde zur sanften Glut, der smaragdfarbene Himmel schillerte. Zwischen den Felsen zeigten sich die Umrisse einiger Lehmhäuser. Elias hob den Arm, wobei er die flatternde Gandura bis zu seinem Ellbogen hochstreifte.
»Abalessa. Die Siedlung bestand schon, bevor die Römer nach Afrika kamen. Sie hieß Balsa und war lange Zeit unsere Hauptstadt.
Jetzt leben kaum noch Menschen dort.«
»Warum?«
»Sie versandet.«
Abalessa schien nur aus einer einzigen Straße zu bestehen. Die armseligen Lehmbauten waren halb verfallen. Einige halbnackte Kinder stürzten uns entgegen, rannten kreischend und winkend neben den Mehara her. Ihre Haut war grau vor Staub. An ihren eitrigen Augen klebten Fliegen. Frauen zogen hastig ihre Schleier über das Gesicht, verschwanden in den Haustüren oder in den Löchern der Mauern.
Ich war betroffen.
»Warum haben sie denn Angst vor uns?«
Elias schüttelte grimmig den Kopf.
»Noch vor zehn Jahren hätten sie uns als Hausherrinnen willkommen geheißen. Heute lernen die Mädchen in den Koranschulen, daß sie sich vor den Männern zu verstecken haben.«
»Und sie tun, was man ihnen sagt?«
»Die ideologische Gehirnwäsche im frühen Kindesalter gelingt immer oder meistens. Diese Frauen leben verschleiert und eingesperrt. Ihre Intelligenz verkümmert oder erlischt wie eine Kerze im Wind. Das ist der Segen der Arabisierung.«
Zerlumpte Männer saßen im Halbschatten. Elias hob die Hand. Sie grüßten verhalten zurück. Vor einer dieser Gruppen hielt Elias seinen Falben an, stellte eine Frage. Ein Mann wies mit dem Arm in eine bestimmte Richtung. Elias dankte mit einigen höflichen Worten. Wir ritten weiter, und er sagte:
»Da ist jemand, den ich sehen möchte. Ein alter Mann. Zara hat mir gesagt, daß es ihm nicht gutgeht. Ich hätte schon früher kommen sollen. Es tut mir leid.«
»Ein Targui?«
»Nein, ein Schwarzer. Ein Akli, einer unserer früheren Leibeigenen.«
303
Über der Siedlung lag die Traurigkeit der Orte, die sich selbst überlebt haben. Ein bedrückendes Gefühl der Verlassenheit, ein Gestank nach Staub und Verwesung, stiegen von den Lehmmauern auf, ausgedörrt von der Hitze vieler Jahrtausende. Bald kam eine jener Bepflanzungen in Sicht, die man im Hoggar »Garten« nennt.
Hinter dem üblichen sandabwehrenden Geflecht aus trockenen Palmwedeln schöpfte ein Schwarzer mit hochgeschürztem Seruel Wasser aus einem knirschenden Ziehbrunnen. Das Wasser wurde durch kleine, aus Lehm geformte Gräben geleitet, die sich in winzige Speicherbecken teilten. Doch die Becken waren verschlammt, die Gräben ausgetrocknet. Einige kümmerliche Pflanzen kämpften im lockeren Sand ums Überleben: verdorrte Kartoffelstauden, dürre Salat- und Tomatensetzlinge, winzige Büschel Minzkraut. Elias wies auf den Boden, der an vielen Stellen von einer weißen Kruste bedeckt war.
»Früher lieferte dieser Garten das beste Obst und Gemüse. Jetzt nimmt der Salzgehalt zu. In zwei oder drei Jahren wächst hier nichts mehr.«
Der Schwarze stellte seinen Eimer in den Sand und humpelte uns entgegen. Er war dürr und zerlumpt, sein gelber Schesch, unordentlich um den Kopf gewickelt, zeigte ein runzeliges, abgemagertes Gesicht. Elias rief ein Wort, einen Namen offenbar.
Der Alte stolperte ungeschickt näher. Elias seufzte.
»Ich glaube, er ist fast blind.«
Er glitt aus dem Sattel, ohne das Kamel niederknien zu lassen, ging auf die ausgemergelte Gestalt zu. Sanft strich er über die knochige Hand, die sich ihm entgegenstreckte, wobei der Schwarze aufgeregt und heiser einige Begrüßungsworte ausstieß. Elias antwortete in der verhaltenen Art, die unter den Tuareg üblich ist, deutete dann auf mich. Der Alte hinkte blinzelnd auf mich zu, streckte mir eine schwielige, heftig zitternde Hand entgegen. Er wiederholte die Begrüßung in eintönigem, fast beschwörendem Singsang. Seine röchelnde Sprechweise war für mich kaum zu verstehen.
»Das ist Hawad«, sagte Elias. »Er hat mich großgezogen. Als das Lager aufgelöst wurde, blieb er in Abalessa bei seiner kranken Frau.
Jetzt ist sie schon lange tot.«
Ich ließ mich schwerfällig aus dem Sattel gleiten, wobei ich
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