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Wuestenmond

Wuestenmond

Titel: Wuestenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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Dunstes das Kommen eines Sandsturms erkennt. Er belehrte Elias über die Vorzüge und Gefahren bestimmter Pflanzen und Kräuter, zeigte ihm alle Arten von Spuren: die Spur der Gazelle, des Schakals, des Mufflons. Er lehrte ihn auch das Fallenstellen. Alle möglichen Fallen gab es: Schlingen, Fallen mit federnden Ästen oder mit 306
    strahlenförmig angeordneten Spitzen, wie sie auch die alten Ägypter kannten und zum Gazellenfang benutzten.
    »Aber Hawad liebte die Tiere«, sagte Elias. »Er befreite sie aus den Fallen und ließ sie laufen, wenn wir keinen Hunger hatten. Und er machte jede Vogelstimme nach, so daß man kaum glauben konnte, die Töne entstammten einer menschlichen Kehle. Er sagte, daß die Vögel ihm Geschichten erzählten. Einmal steckte er sich ein Korn hinter das Ohr. Nach einer Weile kam ein Moula-Moula-Vogel und pickte das Korn hinter seinem Ohr fort. In diesen Dingen war er eine Art Zauberer.«
    Seine Augen waren von Schwermut verdunkelt.
    »Das alles liegt weit zurück. Ein Stück Leben ist vergangen.
    Vergessen werde ich es nie. Mich schmerzt der Verlust dieser Welt, der Menschen und der Dinge, die nicht zurückkehren werden. Wenn ich mich an sie erinnere, dann glaube ich ihre Nähe zu spüren. Aber es ist nur eine Illusion, eine Fata Morgana…«
    Abendlicht flutete über die Ebene, verwandelte sie in einen goldroten See, auf den die Tafelberge lila Schatten warfen. Der frische, kühle Sand, die Felsen, die ganze Erde schienen zu atmen. Die Wüste lebte rein und großartig – wie eine Landschaft der Götter. Die Mehara standen ruhig. Wir sahen beide über die Landschaft hin. Ich ließ die Zügel locker, seufzte tief und etwas atemlos.
    »Die Erinnerung, ach ja! Ich glaube, ich muß die meine erst suchen.«
    Er träumte einen Augenblick vor sich hin. Dann wandte er den Kopf zu mir. Das Lächeln kehrte in seine Augen zurück.
    »Vielleicht auch nicht«, sagte er.
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30. Kapitel
    A uf langbeinigen Reitkamelen, deren Zaumzeug und Zügel mit Kupferglöckchen und bunten Wollquasten geschmückt waren, folgten wir den Windungen unsichtbarer Pisten. Wenn wir, um Kraft zu sparen, über längere Zeit schwiegen, waren nur das Rauschen des Windes, das Schnauben der Kamele und das schleifende Geräusch ihrer Schritte zu hören. In meinem Geist gingen sonderbare Dinge vor. Ich wollte zurückdenken, den Zeitstrom bis zu jenem Punkt ausdehnen, da mein Leben begonnen hatte. Die Reise führte mich zugleich ins Unbekannte und ins Vertraute. Es war derselbe Kreislauf, der mich in das Herz der Wüste und in mein eigenes Herz lenkte. Jeden Tag wurde mir deutlicher, wie bekannt mir die scharf geschnittenen Silhouetten der Berge waren, der Wind, der in unserem Kleiderstoff flatterte, der schaukelnde Schritt der Kamele.
    Ich beobachtete das Tageslicht, das sich mit dem Planeten drehte, im Blau, im Gold, im flammenden Rot; den wirbelnden Sand, der sich zu gespenstischen Säulen erhob, die weit durch die Wüste wanderten. Dann und wann sang Elias halblaut vor sich hin, fast ohne die Lippen zu bewegen.
    Ich liebte seine weiche, etwas kehlige Stimme. Im wiegenden Auf und Ab des roten Sattels, den Kopf leicht geneigt, sang er leise vor sich hin. Von seinen Fingern baumelte die lederne Reitgerte. Er sang für sich allein, schien mir. Er hatte mir gesagt, daß er selbst ein wenig dichtete. Er bevorzugte die alte, klassischepische Art, die den Wert eines erlesenen Reittieres, den schimmernden Waffenglanz und immer und überall die Schönheit der Frauen pries:
    »Gefangen in den Schluchten ist mein Goldfuchs-Me-hari, beim Weiden zupft es Akazienblätter, an der Wasserstelle von Tirsin, zwischen Gumet und den schwarzen Hügeln.
    Ein Schwert besitz’ ich, blank wie der Mond, einen Degen und ein schützendes Schild aus Antilopenhaut. Schnell such ich mein goldfarbenes Mehari, das aufrecht weidet.
    Ich laß es hinknien und springe in den Sattel; ein einziger Peitschenschlag, schon trabt es davon.
    ›Schnell!‹ sag’ ich, ›jetzt wird nicht geschlafen.‹ Noch zur Neige des Tages möchte ich bei den schönen Frauen sein, die am Fuß der kleinen Dünen beisammensitzen.
    Ja, genau dort möchte ich sein:
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    Wo Schleier aus weißer Wolle, lange blaue Schleier und silberne Ohrringe, einen Kreis bilden. Duftend wie Blumen am klaren Quell.«
    Elias’ Stimme besaß die Kraft, eine Verbindung herbeizuführen zwischen unserer individuellen Isolierung und einer größeren Wahrheit. Er selbst mochte Unruhe und Verwirrungen kennen;

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