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Wuestenmond

Wuestenmond

Titel: Wuestenmond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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den Abstieg geschafft und trabten auf das 314
    Lager zu.
    »Warte einen Augenblick«, sagte Elias.
    Er stieg aus dem Sattel, und ich tat es ihm nach. Elias setzte sich auf die Fersen, wickelte seinen Schesch auf und schüttelte sein Haar. Ich sah zu, wie seine gelenkigen Finger den Stoff neu wickelten und knoteten. Den Schleier zog er straff, so daß nur der leuchtende Spalt seiner Augen sichtbar war.
    »Die Höflichkeit verlangt«, sagte er, »daß ich meine Verwandten in anständiger Kleidung besuche.«
    Er nahm die Zügel der Mebara und schlang sie um seinen Arm. Wir gingen auf das Lager zu, die Mebara folgten uns mit ihren schleifenden Schritten. Auf einmal trug uns die Luft das Bellen von Hunden entgegen. Drei magere, sandfarbene Slugis sprangen mit bleckenden Zähnen auf uns zu. Vom Lager aus ertönte ein schriller Pfiff, worauf die Hunde augenblicklich zurückliefen. Wir schritten ungehindert weiter, und ich spürte mein Herz schneller schlagen.
    Bilder aus der fernen Kindheit tauchten in meiner Erinnerung auf: eine Seriba, geräumig und sauber, prachtvoll gearbeitete Ledersäcke, schimmernde Kupferkannen, ein Kohlenbecken, auf dem Sandboden Teppiche, Ziegenfelle, bunt bestickte Lederkissen. Und weil ich in meiner Erschütterung weder Zeit noch Raum wahrnahm, schien mir, als geleitete Elias mich jetzt zu der Seriba, ja als führte seine Hand mich jetzt, wie einst Chenani Olivia geführt hatte. Ich schloß blinzelnd die Augen, öffnete sie wieder und sah zwischen Hütten und Zelten ein Durcheinander aus Kamelsatteln, Decken, Körben und Lederschläuchen liegen. Gleichzeitig drang Elias’ Stimme an mein Ohr. »Sie sind schon dabei, das Lager abzubrechen.« Der Zauber war verflogen, der Traum zerstört. Zurück blieb die Wirklichkeit: ein paar kümmerliche Hütten, vom Wind zerschlissen und mit Lumpen ausgebessert; Zelte aus zerfetzten Ziegenhäuten.
    Ein paar dürre Esel, von Fliegen belagert, weideten im trockenen Gras. Zerlumpte Kinder näherten sich mit schüchterner Neugier. Die armseligen Kleider der Mädchen waren aus bunten Stoffen; das übliche Kopftuch fehlte. Ihr Haar, zu winzigen Zöpfen geflochten, hatte eine ungesunde rötliche Färbung. Die Jungen trugen eine zerschlissene Gandura und nichts darunter. Das windzerzauste Haar stand steif vor Sand von ihrem Kopf ab. Die nackten Kleinkinder hatten aufgedunsene Bäuche, das Zeichen von Unterernährung. Alle Kinder – ausnahmslos – trugen Lederamulette um den Hals.
    Während sie uns mit respektvollem Abstand umringten, trat uns ein 315
    Mann mit gelassenen, weit ausholenden Schritten entgegen. Ich betrachtete ihn verwundert. Der Mann war ein Riese, nahezu zwei Meter groß. Die ärmliche blaue Gandura hing wie ein Prunkgewand um seinen hageren Körper. Seinen ehemals indigofarbenen, jetzt völlig ausgebleichten Schesch trug er wie eine Krone. Zwischen den Falten blickten die Augen kühn und forschend und funkelnd wie Pechkohle. Um seinen Hals hingen mehrere Ledertaschen aus grünem Kanoleder, mit einem aufwendigen Flechtmuster und verblichenen Zierfransen geschmückt. An den Füßen trug er zerschlissene Sandalen, die mit einer Schlaufe um die großen Zehen gehalten wurden und die jenen seltsamen Gang verursachten – eher ein Rutschen als ein Gehen –, der im lockeren Sand erforderlich war.
    In kurzer Entfernung blieb der Mann stehen, und wir gingen ihm entgegen. Aufrecht stand er da, raffte die Falten seiner Gandura mit der gewohnten Geste der Sahara-Bewohner auf dem Rücken zusammen. Elias trat als erster auf ihn zu. Der Mann streckte die Hand aus, die Elias ehrerbietig streifte, bevor beide ihre rechte Hand an Herz und Stirn führten und mit verhaltener Stimme die üblichen Begrüßungsworte wechselten. Das nächste, was Elias sagte, bewirkte, daß die pechschwarzen Augen des Mannes sich auf mich richteten. Das wenige, das ich von seinem verhüllten Gesicht sah, war braun und rissig wie altes Holz. Er neigte den Kopf ein wenig zur Seite und hielt mir die dürre, lederähnliche Hand hin, die in erstaunlichem Gegensatz zu seinen langen, gelenkigen Fingern und den sorgfältig gepflegten Nägeln stand. Elias nickte mir zu.
    »Das ist mein Onkel Hannon, von dem ich dir erzählt habe.«
    Die Hand, die ich berührte, schien nur noch aus Haut und Knochen zu bestehen. Wir begrüßten uns auf Tamahaq.
    »Ma d’ ulan eddunet enneck?«
    »Elrer ras. Matulit d’ asekel?«
    »Elrer ras.«
    Ja, diese Worte, und viele andere, waren mir vertraut geworden; sie

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