Wuestentochter
zufolge einst als Paradies auf Erden bekannt gewesen war; ein weitläufiger Garten von einem Land, in dem kultivierte und friedliche Menschen lebten. Aber da friedliche Völker in einer Welt, die sich dem Krieg verschrieben hatte, dem Untergang geweiht waren, war Sistan nach jahrelanger Unterdrückung und Ausbeutung durch Invasorenarmeen zu einer Art Niemandsland zwischen Persien und Khorasan geworden. Doch zwischen den Bergen lagen noch immer zahlreiche fruchtbare Täler, in denen Weizen, Melonen und Sesam im Überfluss wuchsen.
Die Bauern, die diese Talfelder bearbeiteten, gehörten zu einem Stamm namens Baluchi, der in Hütten aus Flechtwerk mit Dächern aus Tuch hauste und eine Sprache sprach, die selbst Sulayman nicht entschlüsseln konnte. Die Männer ritten eigenartige Pferde mit edel geformten Köpfen auf langen Hälsen, Leibern, die etwas massiger waren als die der Araberpferde und mit langen, gebogenen Ohren, deren Spitzen sich berührten. Trotz der Sprachbarriere verstanden die Baluchi zu handeln, sodass Sulayman und Khalidah ihre Vorräte aufstocken und die Pferde ausgiebig grasen lassen konnten.
Nach dem Land der Baluchi durchquerten sie trockene, von abbröckelnden Ruinen durchsetzte Steppen und einmal sogar eine ganze verlassene Stadt, deren zerborstene Säulen wie die Rippen eines vor Urzeiten zur Strecke gebrachten riesigen Tieres gen Himmel ragten. Sie erklommen Hügel und fanden auf der anderen Seite eine vom Fluss Hirmand in zwei Hälften geteilte Sumpflandschaft vor. Das Wasser des Hirmand war klar und eiskalt, eine willkommene Abwechslung, nachdem sie tagelang lauwarme, nach den Häuten der Wasserschläuche schmeckende Flüssigkeit hinuntergewürgt hatten.
An ihrem laut Sulayman letzten Tag in Persien machten sie in einer kleinen Stadt namens Zabol Halt; einer Ansammlung niedriger Lehmhäuser, die die stumpfe Farbe der Berge hinter ihnen angenommen hatte. Doch es gab auch Grün: Hinter den Mauern lagen von dem großen Fluss gespeiste üppige Gärten. Seit Domat al-Jandal waren sie in keiner Stadt dieser Größe mehr gewesen, und es widerstrebte Khalidah, sie zu betreten.
»Müssen wir hier unbedingt anhalten?«, beschwerte sie sich.
»Ja, wenn du in den Bergen nicht erfrieren willst«, erwiderte Sulayman. »Wir müssen uns mit einigen Dingen eindecken, bevor wir weiterreiten können.«
Seufzend trieb Khalidah Zahirah weiter. Doch sowie sie sich innerhalb der Stadtmauern befanden, schwanden ihre Bedenken. Viele Einwohner sprachen Persisch, vor allem im suq, wo Sulayman für sie beide Männerkleider erstand.
»Die Berge wimmeln von Räubern«, erklärte er, als Khalidah sich weigerte, die Verkleidung noch länger aufrechtzuerhalten. »Glaub mir, es ist besser, wenn sie dich für einen Mann halten.«
Er reichte ihr einen hellen Wollhut, den er pakol nannte und den man je nach Wetter tief über den Kopf ziehen oder an den Seiten aufrollen konnte. Dazu erwarb er lange Wollmäntel in gedeckten Farben und riesige wollene Schals; einen roten für sich und einen blauen für Khalidah. Außerdem stellte er einen Vorrat an Lebensmitteln zusammen und bezahlte für alles mit dem letzten Silberschmuck vom Zaumzeug ihrer Pferde.
»Und jetzt sind wir für alles gerüstet«, sagte er zu Khalidah, als sie die Vorräte und die neuen Kleider auf das Packpony luden. Dann verließen sie den suq, ließen das Gewimmel in den Straßen hinter sich und gelangten in ein ruhigeres Viertel, wo die gepflegten Häuser und die von Mauern umgebenen Gärten von einem gewissen Maß an Wohlstand zeugten.
»Das ist aber nicht der Weg in die Berge«, stellte Khalidah fest.
»Nein«, bestätigte Sulayman. Nach kurzem Zögern fuhr er fort: »Wir haben zwar den letzten Teil unserer Reise vor uns, aber er wird zugleich auch der bei weitem schwierigste. Heute Abend gibt es eine warme Mahlzeit, und wir schlafen in einem richtigen Bett.«
»Wir haben kein Geld, um uns in einem Gasthaus einzumieten.«
»Das brauchen wir auch nicht. Ich habe hier eine gute Freundin.«
»Du scheinst überall Freunde zu haben.«
»Bist du böse?«
»Nein. Aber warum hast du mir das nicht schon eher gesagt?«
»Ich wusste nicht, ob unser Weg uns wirklich hierherführen würde, und ich wollte dir keine falschen Hoffnungen machen.«
Das war für ihn eine seltsame Bemerkung. Als Nomadentochter legte Khalidah wenig Wert auf eine weiche Matratze, und obwohl sie gegen eine warme Mahlzeit nichts einzuwenden hatte, hätte sie auch problemlos darauf
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