Wuestentochter
Mensch mit einem eigenen Willen, und ich war nicht nur eine Frau, sondern auch eine Dschinn - und die Dschinn haben andere Auffassungen von Pflicht. Aber obwohl ich das wusste und auch all die anderen Gründe kannte, warum Dschinn nur untereinander heiraten sollten, war ich jung, und die Liebe ist taub für die Stimme der Vernunft.
Wir waren noch nicht lange verheiratet, als mir dämmerte, was für einen verhängnisvollen Fehler ich begangen hatte. Aslam gefiel es nicht, wie andere Männer mich ansahen. Erst verbot er mir, auszugehen. Dann bestand er darauf, dass ich mich auch im Haus verschleierte. Später war es mir sogar nicht mehr gestattet, mich Besuchern zu zeigen, selbst wenn sie zur Familie gehörten - verschleiert oder nicht. Aber selbst das war noch nicht genug. Aslam war überzeugt, mich früher oder später an einen anderen Mann zu verlieren. Ich sah zu, wie die Eifersucht ihn zerfraß, und doch hätte ich nie gedacht, dass sie letztendlich vollständig von ihm Besitz ergreifen würde.«
Sie verstummte, dann schlug sie langsam den Schleier zurück und legte ein so exquisites Profil frei, dass Khalidah der Atem stockte: milchweiße Haut, ein großes grüngoldenes Auge, eine fein geschnittene Nase und eine schwarze, an eine Vogelschwinge gemahnende Braue. Doch irgendetwas stimmte nicht: Sulayman, der zu ihrer anderen Seite saß, betrachte sie mit einem Ausdruck gequälten Mitleids. Einen Moment lang begriff Khalidah nicht, was das zu bedeuten hatte, dann wandte Sandara den Kopf, und die furchtbare Wahrheit traf sie wie ein Schlag. Die andere Hälfte ihres Gesichts war zu einer Grauen erregenden Fratze verzerrt; bestand nur aus einer Masse wulstiger roter Narben. Das Lid verschmolz mit der Haut ringsum und gab das milchig trübe blinde Auge frei, die Lippen waren zu einem immerwährenden starren Fletschen gebleckt.
»Er betrank sich, und dann schüttete er mir brennendes Öl ins Gesicht, als ich schlief.« Jetzt konnte sie die Bitterkeit in ihrer Stimme nicht mehr verbergen. »Siehst du, er hatte sich selbst davon überzeugt, es sei besser, meine Schönheit auszulöschen, als mit dem Wissen zu leben, sie nie ganz alleine besitzen zu können.« Sie lächelte wehmütig, dann ließ sie den Schleier mit nahezu greifbarer Endgültigkeit wieder fallen. »Es gelang ihm, und doch war er am Ende der Verlierer, denn als er erfuhr, dass ich am Leben bleiben würde, stürzte er sich in sein eigenes Schwert. Und seither bin ich Witwe, reich zwar, doch mein Reichtum nützt mir nichts, denn kein Mann wird mich je wieder begehren, und wenn die Kinder nicht wären, wäre ich Aslam schon längst auf seinem Weg gefolgt.«
Sie verstummte, und als sie weitersprach, galten ihre Worte allein Khalidah, die sich nur allmählich von ihrem Schock erholte. »Ich kenne all die bösen Gerüchte, die über deine Mutter im Umlauf sind«, sagte sie weich. »Während meiner gesamten Jugend hat man sie mir als mahnendes Vorbild vorgehalten - ›Siehst du, was denen widerfährt, die unseren Stamm verleugnen?‹, drohte man mir. ›Selbst unserer Prinzessin blieben Demütigungen und Exil nicht erspart.‹ Aber ich kann und werde sie für ihre Handlungsweise nicht verurteilen, und das solltest du auch nicht tun, egal was die Dschinn dir einreden wollen, denn wir, die wir Qaf den Rücken gekehrt haben, büßen danach jeden einzelnen Tag unseres Lebens dafür, jeder auf seine eigene Weise.«
Sie hielt inne, dann seufzte sie leise. »Es ist sinnlos, mir zu wünschen, dass ich Qaf nie verlassen hätte, denn ich glaube nicht, dass ich die Kraft aufgebracht hätte, Aslam und dem, was ich für Liebe hielt, zu widerstehen. Aber das hier …«, sie deutete auf ihre zerstörte Gesichtshälfte, »habe ich mir selbst zuzuschreiben. Aslam begann mich und meine Persönlichkeit von dem Moment an auszulöschen, in dem ich mich in seine Hände gab, und aus Stolz - völlig irregeleitetem Stolz heraus ließ ich ihn gewähren; versuchte noch nicht einmal, mich gegen ihn zur Wehr zu setzen. Keine Dschinn sollte zulassen, dass ein Mann sie so behandelt, aber mir erschien es einfacher, das zu vergessen, denn sonst hätte ich zugeben müssen, dass ich einen großen Fehler gemacht hatte. So kam alles, wie es kommen musste.
Geh nach Qaf, Khalidah. Suche deinen Großvater auf und höre, was er dir zu sagen hat. Lerne, was es heißt, eine Dschinn zu sein; überlege, ob du dir dort ein Leben auf bauen kannst. Aber vergiss niemals, wer du bist.« Sandara erhob sich
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